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Adolf Krämer

Adolf Krämer wurde am 27. Juli 19001 in Wolfenhausen2 geboren. Dort besuchte er auch die Volksschule von 1906 bis 19143. Anschließend erlernte er in Weilmünster drei Jahre lang das Maler- und Anstreicherhandwerk. Danach war er bis 1918 bei den Heddernheimer Kupferwerken beschäftigt.4 Am Ende des 1. Weltkrieges, im Juni 1918, war er noch eingezogen worden, aber nicht mehr im Krieg.5 Während der Wirtschaftskrise war er bei verschiedenen Firmen angestellt und dann 1931 bis 1932 für einige Monate arbeitslos.6 

Schon mit 14 Jahren erlebte er, wie in seiner evangelischen Kirche Soldaten mit ihren Gewehren den außerordentlichen Segen erhielten. Nach dem Leid das der Krieg mit sich brachte, war sein Vertrauen in die Christenheit erschüttert.7 1924 traf er auf seiner Arbeitsstelle als Lackierer in einer Eisenbahnwerkstatt auf einen Kollegen, der Bibelforscher war. Von ihm lernte er vieles aus der Bibel was ihn überzeugte. Der Vater von Adolf Krämer war in der Arbeiterbewegung sehr aktiv und hoffte seinen Sohn in Frankfurt im Gewerkschaftshaus unterzubringen,8 doch sein Sohn las lieber in der Bibel. Er ging sogar zu seinen Nachbarn und erzählte ihnen aus der Bibel, was dem Vater sehr missfiel und auch zu Aufregung im Dorf führte. Der Arzt des Dorfes meinte sogar: „Dem Krämer seiner, der ist verrückt geworden.“9 

Im Mai 1926 ging Adolf Krämer nach Frankfurt-Höchst, dort arbeitete er in einem Baudekorationsgeschäft. Nach einigem Bemühen fand er Kontakt zu den Bibelforschern in Frankfurt, die sich in der Liederhalle in der Lange Straße trafen. Bald danach war seine Überzeugung so stark, dass er sich am 26. November 1926 als Bibelforscher taufen ließ. Die Taufe fand im Offenbacher Stadtbad statt.10 Im folgenden Frühjahr unternahm er mit der wachsenden Gemeinde in Frankfurt „sonntägliche [Missions-] Feldzüge in einem weiten Gebiet ringsum Frankfurt bis ins Oberhessische […] Von Sonntagsfrüh bis nachmittags waren wir mit einem Planlastwagen mit Bänken freudig bemüht Städtchen und Dörfer […] zu betreuen“.11

1929 besuchte er eine große Hauptversammlung der Bibelforscher in Leipzig. Mittlerweile traf sich in Frankfurt-Höchst regelmäßig eine kleine Gruppe Bibelforscher, die Adolf Krämer leitete.12

Doch 1929 und 1930 ging es in ganz Deutschland wirtschaftlich bergab, dies wirkte sich auch auf Adolf Krämer aus, ihm wurde der Arbeitsplatz gekündigt. Da er bei seinem katholischen Arbeitgeber als Bibelforscher bekannt war, erhielt er sehr früh die Kündigung. 

Adolf Krämer

Foto: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Aufbruch zur Missionsfahrt ins Frankfurter Umland im "Wasserauto".

Foto: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Am 12. April 1930 heiratete er seine Frau Adele, die ebenfalls Bibelforscherin war13,14. An das Jahr 1931 erinnerte sich Adolf Krämer als Meilenstein, er erlebte mit, wie die Frankfurter Bibelforscher in einer feierlichen Zusammenkunft im alten Gewerkschaftshaus15 den Namen „Jehovas Zeugen“ annahmen. 1933 schlugen dann auch in Frankfurt die politischen Wellen hoch. Als er einen seiner Besuche machte, bat ihn ein Hausbewohner in seine Wohnung. „Er schlug im Vorplatz ein schwarzverschleiertes Bild zurück, und was kam zum Vorschein? Das Gesicht Adolf Hitlers, mich anblickend sagte der Mann, daß wenn er jetzt an die Macht käme, wir vergessen seien.“16 Tatsächlich wurden kurz danach die Bibelforscher bzw. Zeugen Jehovas verboten. Schon 1934 schickten sie deshalb per Telegramm eine Protestnote nach Berlin. Von da an wurde die kleine Gruppe in Frankfurt-Höchst bespitzelt. Sie kamen dennoch weiter zusammen, mal in Wohnungen, mal in Gartenhütten.17 „Als 1935 die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt wurde, war es für uns klar, daß Kriegsvorbereitungen getroffen wurden, die uns ernstlich auf die Feuerprobe stellen würde“18 berichtete Adolf Krämer. Ab 1936 ging die Gestapo bei ihm aus und ein“. Am 12. Dezember 1936 beteiligten sich Adolf Krämer, seine Frau und ein weiteres Ehepaar19 an der Verteilung der „Resolution“20. Er berichtete: „Die erhaltenen Resol. Briefe wurden aufgeteilt u. Punkt 17.00 ging´s los. Meine Frau nahm unsere kleine Tochter Adele u. ich unseren 1jährigen Sohn Adolf, u. schon ging´s an den ersten Briefkasten. […] Und wie durch ein Wunder kam meine Frau durch. Kaum hatte sie in Höchst im Treppenhausbriefkasten die letzte Resolution eingeworfen erschien ein SA Mann, dem die Sache verdächtig vor kam. Aber wie durch ein Wunder wurde er abgelenkt.“21 Am nächsten Morgen stand die SA in der Wohnung, verhaftet wurde aber noch niemand. Anders das Ehepaar Mayer, sie wurden noch am selben Abend verhaftet. Die Verhaftung Adolf Krämers „zog sich noch bis 16. März 1937 hinaus.“ Vom Tag der Verhaftung in der Mainzer Landstrasse 606 22 berichtet er: „Als ich an jenem Tage um 17.00 von der Arbeit nach Hause kam war die Gestapo da, hatte schon Haussuchung gemacht, sämtl. bibl. Literatur mit Bibeln zusammengesucht, die ich dann mit in´s Gefängnis nehmen musste. Nun begann eine Zeit schmerzlicher Erfahrungen […] endlich um 23.00 [Uhr] nach nervenzerreibender Gestapo-Vernehmung, fiel die Zellentür hinter mir in´s Schloß. Ich stand im Dunkeln […] Anfänglich litt ich unter großen Depressionen, ich dachte ich müßte in der schmutzigen Zelle ersticken […] als ich ihn [einen Gefängniswärter] dann frug, warum ich denn eigentlich verhaftet sei antwortete er mir, ich sei doch ein Bibelforscher, […] zudem sei ich ein Kriegsdienstverweigerer. Als ich darauf sagte, es gäbe doch gar keinen Krieg, Hitler hatte doch selbst gesagt: `Deutschland, eine Insel des Friedens´- da hat man mich kurzerhand am Kragen gepackt u. in die Zelle befördert.“23

Bei seiner Vernehmung  am 17. März 1937 wurden ihm viele Fragen zu seinem Handeln gestellt. Er antwortete taktvoll und klug. Auf die Frage warum er den „Deutschen Gruß“ ablehne, entgegnete er z. B. „Nicht aus Böswilligkeit noch Gehässigkeit lehne ich den Deutschen Gruss ab, sondern weil die Bibel sagt, man solle nur Gott das `Heil´ zurufen.“24  Der Vernehmungsbeamte Pracht schrieb danach: „Bei dem Beschuldigten handelt es sich um einen äusserst fanatischen Anhänger der IBV [Internationale Bibelforscher Vereinigung] […] Eine Freilassung kann nicht erfolgen.“25

Bereits am nächsten Tag, dem 18. März 1937 wurde Haftbefehl gegen Adolf Krämer erlassen, um 14.00 Uhr wurde er vom Polizeigefängnis26 ins Strafgefängnis nach Frankfurt-Höchst transportiert27 und am 23. März wurde die Anklageschrift ans Sondergericht in Frankfurt gesandt.28

Der Sondergerichtsprozess fand am 4. Juni 1937 vor dem Sondergericht in der Heiligkreuzstraße 34 im Zimmer 85 statt. Außer Adolf Krämer standen noch vier andere Bibelforscher vor Gericht, sie wurden alle zu Gefängnisstrafen verurteilt. Adolf Krämer erhielt vier Monate Gefängnis. Er wurde am 8. Juni um 9.15 Uhr wieder ins Gefängnis nach Frankfurt-Höchst überführt.29 Dort wurde er am 3. Juli 1937 entlassen,30 kam aber wieder in das Polizeigefängnis, da er in Schutzhaft genommen worden war.31 Am 5. August kam er ins Konzentrationslager Buchenwald. Dort erhielt er die Häftlingsnummer 950, wodurch gezeigt wird, dass er zu den ganz frühen Häftlingen im KZ Buchenwald gehörte.32

Er selbst beschrieb bereits am 6. Juni 1945 in einem Bericht an das Fürsorgeamt in Frankfurt-Griesheim über diese Erlebnisse: „[...] mein Glaube und die daraus resultierende Handlung [war] derart gefährlich für das damalige Regime, dass man mich nach 4-monatiger Gefängnisstrafe, Untersuchungshaft eingerechnet, in Schutzhaft nahm und am 1. August 1937 auf Transport nach K.L. Buchenwald schickte, wo ich am 5. Aug. eintraf.“33

Über die erste Zeit dort berichtete er weiter: „Angekommen am 5. August 1937 auf dem Ettersberg, 9 km von Weimar, fand ich einen bewaldeten Berg mit wenig Zufahrtswegen vor. Es standen damals 4 Häftl. Baracken im Lager selbst, und ausserhalb 2 Baracken, 400 Meter entfernt, zur Unterkunft der Kommandanten […] Meine anfängliche Arbeit bestand in Bäume fällen, Steine tragen, Wurzelstöcke roden, Strassen bauen.“34 Das Arbeitskommando war bunt gewürfelt, es bestand aus „Berufsverbrechern, politischen Häftlingen und einigen lästigen Bibelforschern“.35 Dass zwei Bibelforscher zusammen arbeiteten, was sie zur gegenseitigen Stärkung nutzen wollten, wurde durch noch härtere Arbeit bestraft bzw. unterbunden. Sie bekamen so schwere Lasten aufgebürdet dass sie fast zusammenbrachen und gezwungen waren wieder auseinander zu gehen. „Die ersten Monate waren die schlimmsten meines Lagerlebens, nicht nur die lange Arbeitszeit, das wenige Essen, sondern die Schikanen der SS besonders die vielen Befragungen auf der pol. Abteilung auf der Arbeitsstelle.“36

Auch den Tagesablauf beschrieb er sehr detailliert. Aufstehen war um 3.00 Uhr bis 3.15. Uhr. Danach musste Bettenbau, Frühappell und Ausrücken der Arbeitskommandos erledigt werden, da von 6.00 Uhr an bis 20.00 Uhr die Arbeit verrichtet werden musste. Lediglich 1,5 Stunden wurde eine Unterbrechung gewährt. Nach dem Einrücken musste der Abendappell durchgeführt werden, danach erst durfte das spärliche Abendbrot eingenommen werden. „Die Arbeit selbst, sowie alle andere Tätigkeit, geschah in einer nervenzerstörenden Hast und persönlicher Aufopferung angesichts der dauernden Todesgefahr der wachtuenden SS-Beamten.“37

Nach drei Monaten wurde er in seinem Beruf als Maler und Lackierer eingesetzt, denn die Bauarbeiten zur Errichtung des Lagers Buchenwald wurden in unvorstellbarem Tempo durchgeführt. Nach seiner Befreiung im Juni 1945 machte Adolf Krämer für seinen Wiedergutmachungsantrag die Rechnung auf, dass er während seiner über achtjährigen Haft 25.200 Stunden gearbeitet hatte, dabei legte er einen Stundenlohn von 0,90 RM zugrunde. Somit hat er 22.680 RM verdient, aber niemals erhalten.38 Er schrieb: „Rechnet man noch ausserdem die unmenschl. grausame Behandlung eines Konzentrationslagers hinzu, ergäbe sich eine phantastische Rechnung, die mir das nationalsozialistische Deutschland schuldet.“39

Als Adolf Krämer verhaftet wurde, hatte er bereits zwei Kinder, im Oktober 1937, als er bereits drei Monate in Buchenwald war, wurde sein drittes Kind geboren. Nur einmal im Monat durfte er einen streng zensierten Brief seiner Frau erhalten. Fotos zu machen war ihr nicht möglich, doch sie hatte eine Idee, wie sie ihrem Mann den Kleinen vorstellen konnte. Sie strich ein Füßchen des Babys mit Tinte ein und machte einen Fußabdruck auf einen der Briefe ins Gefängnis.40

Ganz besonders setzten Adolf Krämer die „Befragungen“ zu. Sie bedeuteten für ihn eine besondere Belastung. Immer wieder versprach man ihm die sofortige Befreiung, was die Heimkehr zur Familie bedeutet hätte. Der Preis dafür wäre aber eine Unterschrift, mit der er seinem Glauben, seiner Überzeugung, seiner Treue zu Gott abgeschworen hätte und gleichzeitig sich zum Verrat an allen andern Bibelforschern bzw. Zeugen Jehovas verpflichtet hätte. Über das Ende einer solchen Befragung im Frühjahr 1938 berichtete Adolf Krämer: „Die begleitenden SS Posten waren am Schluß wütend und hätten mich am liebsten totgeschlagen. `So ein Hund kann entlassen werden und will nicht.´“41

Über wohl die schlimmste Befragung dieser Art berichtet er: „Also wurde mir gesagt, da ich nicht gewillt sei zu unterschreiben, meinen Kindern aber die gleichen Rechte wie den andern eingeräumt werden sollten, ließe sich meine Frau jetzt von mir scheiden. Diesen Schriftsatz sollte ich unterschreiben dann wäre ich geschieden u. meine Kinder könnten als deutsche Kinder aufwachsen, so wären sie Verbrecherkinder. […] Wie wurde mir gedroht mich zu zwingen. In der Rapportführerstube, von mehreren Männern traktiert, hin- u. hergejagt, unbedingt zu unterschreiben schrie mir damals ein mir bekannter SS-Führer zu: `Hau ab du Schwein, du bist ja ganz verkommen.´ […] Welch seelische Qualen diese Befragungen mit sich brachten, kann sich nur der vorstellen, der selbst in der Lage war. Aber wieder hatte mir Jehova geholfen - Ich durfte treu bleiben.“42

Doch auch von Mithäftlingen kam gewaltiger Druck, da sie die Haltung der Zeugen Jehovas nicht verstanden. Wie dieser Druck aussah beschrieb er ebenfalls: „Nicht nur von der SS gehaßt, sondern auch von den politischen und anderen Häftlingen als Verbrecher unserer Familien angesehen, - wir könnten so leicht frei sein, würden dies ausschlagen, wir dürften uns bestimmt nicht beklagen, - es dürfte uns ja gar nicht gut gehen.“43

Immer wieder wurden alle Häftlinge, die Zeugen Jehovas waren zu Extra-Appellen aufgefordert. Ihnen wurde vorgelegt, sich für die Wehrmacht zu melden. Ihre Weigerung machte die SS wütend. Mal sollten sie alle in den Steinbruch geschickt werden, ein anderes Mal sollten alle erschossen werden nachdem sie bis zum Zusammenbruch Strafexerzieren mussten. Doch trotz dieser Schikanen blieben sie ihrer Überzeugung treu.44

Durften noch am Anfang die Bibelforscher zusammen in den Baracken sein, was ihnen sehr geholfen hat sich gegenseitig zu ermutigen, so wurden sie später aufgeteilt, meist unter politische Gefangene, sodass sie ständig unter Kontrolle waren, ob sie noch an ihrer Treue zu ihrem Gott festhielten. Doch sie gaben nicht auf. Wie sie heimlich ins KZ geschmuggelte Lektüre - den Wachtturm - sich gegenseitig zugänglich machten beschrieb Adolf Krämer: „[…] wir bekamen ab und zu den Wachtturm auf wundersame Weise ins Lager. Einige fähige Brüder hatten eine Stenographie zusammengestellt […] Mittels dieser Geheimschrift wurde Absatz für Absatz abgeschrieben. Da wir unter ständiger Kontrolle standen haben wir täglich vor u. nach dem Zählappell […] nach einer bestimmten Einteilung, einer zur Rechten, einer zur Linken, vielleicht eine 1/4 Stunde die neuesten Gedanken übermittelt bekommen. Jene nun, die unterrichtet waren, nahmen sich wieder 2 Brüder, gingen harmlos hin u. her, um sich biblisch zu unterweisen. Abends, vor dem Schlafengehen wußten es alle“.45

Ein weiteres Erlebnis war die Bombardierung des KZ Buchenwald am 24. August 194446. Es gab einige Verletzte. Wie Adolf Krämer überlebt hat erzählte er: „Ich hatte mich in einen Holzbaracken-Stapel geflüchtet. Als die 2. Welle Bomber über das Bauhofgelände fegte, wurde es auf einmal rabenschwarze Nacht. Die Funken sprühten u. es war dann so als ob es regnete. Als dann die 3. Welle Bomber […] vorbei war, hielt es mich nicht mehr in dem Bretterhaufen. […] Alle Holzbaracken im Bauhof waren am brennen, lagen zum Teil um. Dass mein Unterstand verschont wurde, wurde durch einen glückl. Umstand herbeigeführt. In der Zimmereibaracke die in unmittelbarer Nähe war, wurde durch den Bombeneinschlag ein Wasserrohrbruch verursacht. Das Wasser schoss hoch und fiel abwärts auf meinen Holzunterstand. Welch eine glückliche Fügung Jehovas“.47

In den letzten Wochen der Haft hatten sich die in verschiedenen Baracken verstreuten Bibelforscher dafür eingesetzt, wieder gemeinsam in einer Baracke untergebracht zu werden, die frei gewordene „Russenbaracke“ bot sich dafür an. Sie nutzen die Gelegenheit sich für die kommende Zeit zu erbauen.48

Verfolgtenausweis von Adolf Krämer

Foto: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Der April 1945 war von besonderer Unruhe gekennzeichnet. Adolf Krämer berichtete darüber: „Wir sollten in den letzten Tagen noch alle evakuiert werden. Aber wohin? Amerikanische Truppen standen vor Erfurt, wir hörten Geschützdonner, dann hörte er wieder auf. […] Aber dann am 11. April 1945 war es so weit.“49 Alle Zeugen Jehovas waren in der Baracke zusammen und einer hielt gerade einen Vortrag über verschiedene Texte aus der Bibel, die sie jeweils ein Jahr begleitet hatten. „Und gerade als der Text von 1945 behandelt wurde war der letzte SS Posten vom Turm 2 verschwunden.“50

Die 6. Panzerdivision der 3. US-Armee befreite das KZ Buchenwald. Die SS flüchtete und noch während um die Türme gekämpft wurde, übernahmen Häftlinge des Lagerwiderstandes die Verwaltung des Lagers.51

Während sich viele Häftlinge zum Befreiungsappell auf dem Appellplatz versammelten, „waren Jehovas Zeugen einmütig in der ehemaligen Russenbaracke zusammen“.52

Innerhalb von vier Wochen verliessen nun die Häftlinge Buchenwald. Adolf Krämer war noch bis 16. Mai 1945 in Buchenwald53, dann kehrte er nach Frankfurt zurück. In Apolda konnte er mit anderen zusammen einen Lastwagen besorgen, mit diesem sind sie dann heim gefahren.54

Seine Frau hatte in dieser schweren Zeit die drei Kinder alleine betreut. Ein wenig Unterstützung erhielt sie lediglich von einigen Glaubensbrüdern und seinem ehemaligen Chef: „Mein Chef sah meine entschiedene Einstellung, und hat dies nach meiner Verhaftung gezeigt indem er meine Frau heimlich unterstützte, als ich im Gefängnis und K.Z. war.“55 Die Kinder waren bei seiner Verhaftung 3 und 2 Jahre alt, der Jüngste war noch nicht geboren, nun waren sie 11, 10 und 7 Jahre alt, die wichtigen Jahre als Kleinkinder mussten sie auf den geliebten Vater verzichten.

Adolf Krämer kehrte in das Haus zurück, in dem er verhaftet worden war, in die Mainzer Landstrasse 606. Sehr schnell fand er Arbeit, um seine Familie zu ernähren, als Werkstatt diente ihm etwa 10 Jahre lang ein Keller in diesem Haus. Er stellte viele  Anträge, um endlich nach 10 Jahren für seine Familie ein Haus und eine Werkstatt zu errichten. Dabei musste er mit vielen Hindernissen kämpfen. Beispielsweise musste er erfahren, dass alle Unterlagen über seine Inhaftierung in Frankfurt, die für seine Anträge nötig gewesen wären, „noch vor Einmarsch der Besatzungstruppen vernichtet wurden.“56

Adolf Krämer hatte 98 Monate, d.h. 8 Jahre und 2 Monate im Gefängnis und KZ verbracht. Er fasste dies zusammen: „Abschied von Frau und Kindern am 16. März 1937 - Wiedersehen Ende Mai 1945.“57 Ihm war das gelungen, was ihm so sehr am Herzen lag - trotz Trennung von Frau und Kindern, Schlägen, Hunger, Todesdrohungen, Gefängnis und KZ - seine Treue zu Gott zu bewahren. „So ging es auf und nieder durch die langen Jahre KZ Haft, immer mit dem Gebet im Herzen `Herr laß uns treu sein´“58. Später schrieb er: „Ich durfte treu bleiben“59.

Stolperstein für Adolf Krämer, in Höhe des Hauses Mainzer Landstraße 606 in Frankfurt am Main.

Foto: Privatbesitz

1 Vgl. Geburtsurkunde, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden [HHStAW] Abt. 518 Nr. 445

2 Wolfenhausen liegt im Hintertaunus und gehört heute zum Landkreis Limburg-Weilburg. Zur Zeit der Geburt von Adolf Krämer hatte der Ort weniger als 1.000 Einwohner. Vgl. Online-Lexikon „Wikipedia - Wolfenhausen“ letzter Zugriff 19.03.2016.

3 Vgl. Vernehmungsprotokoll, HHStAW Abt. 461 Nr. 7669

4 ebd.

5 ebd.

6 ebd.

7 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa [JZD]

8 ebd.

9 ebd.

10 ebd.

11 ebd.

12 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, JZD

13 ebd.

14 Vgl. Wiedergutmachungsakte HHStAW Abt. 518 Nr. 445

15 Das Alte Gewerkschaftshaus befand sich in Frankfurt Ecke Allerheiligenstraße / Stoltzestraße.

16 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, JZD

17 ebd.

18 ebd.

19 Es war das Ehepaar Balthasar und Elisabeth Mayer, für Balthasar Mayer ist am 22. Juni 2013 in der Fabriciusstraße 11 in Frankfurt-Griesheim ein Stolperstein verlegt worden. 

20 Jehovas Zeugen verteilten die „Luzerner Resolution“ am 12.12.1936 um 17.00 Uhr zeitgleich im ganzen Reichsgebiet. Mit dieser Protestaktion machten sie die Öffentlichkeit auf die grausame Misshandlung der Zeugen Jehovas und anderer Verfolgtengruppen aufmerksam und forderten das NS-Regime in scharfen Worten auf, diese brutalen Übergriffe einzustellen. Eine zweite Aktion fand im Februar 1937 statt. Darauf folgte in Frankfurt eine Verhaftungswelle der Zeugen Jehovas in den ersten Märztagen 1937. 

21 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, JZD

22 Vgl. Wiedergutmachungakte Institut für Stadtgeschichte [IfS] Frankfurt am Main, Signatur 3.542

23 ebd.

24 Vgl. Vernehmungsprotokoll, HHStAW Abt. 461 Nr. 7669

25 Vgl. Antrag auf Haftbefehl, HHStAW Abt. 461 Nr. 7669

26 Das Polizeigefängnis befand sich in der Klapperfeldstraße 5 in der Frankfurter Innenstadt. Das Gebäude steht heute noch an dieser Stelle. 

27 Vgl. HHStAW Abt. 409/3 Kartei

28 Vgl. HHStAW Abt. 461 Nr. 7669

29 Vgl. HHStAW Abt. 409/3 Kartei

30 Vgl. Entlassungsschein, Unterlagen aus Privatbesitz [UaP]

31 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, JZD

32 Vgl. Wiedergutmachungsakte HHStAW Abt. 518 Nr. 445

33 Vgl. „Tatsachenbericht über meine Tätigkeit und Erlebnisse während der Zeit meiner Gefangenschaft im Konzentrationslager Buchenwald“ von Adolf Krämer vom 6. Juni 1945. IfS NS-Verfolgte Nr. 3.542

34 ebd.

35 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, JZD

36 ebd.

37 Vgl. „Tatsachenbericht …“ IfS NS-Verfolgte Nr. 3.542

38 ebd.

39 ebd.

40 Gespräch mit Adele Krämer (Ehefrau von Adolf Krämer) mit Erika Krämer ca. September 1997

41 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, JZD

42 ebd.

43 ebd.

44 ebd.

45 ebd.

46 Vgl. „buchenwald.de“ Der Angriff der Alliierten Bomber galt dem nahe gelegenen Rüstungsbetrieb und den SS-Einrichtungen. Letzter Zugriff am 30.03.2016

47 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, JZD

48 ebd.

49 ebd.

50 ebd.

51 Vgl. „buchenwald.de“ Letzter Zugriff 30.03.2016

52 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, JZD

53 Vgl. Wiedergutmachungakte, IfS Signatur 3.542

54 Vgl. Interview, das Adolf Krämer im Jahre 1981 in einer Frankfurter Schulklasse gegeben hat. UaP

55 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, JZD

56 Vgl. Brief der Stadt Frankfurt, Polizeipräsident vom 11.11.1949, HHStAW Abt. 518 Nr. 445

57 Vgl. „Geschichtsbericht des Adolf Krämer“ vom 01.02.1971, JZD

58 ebd.

59 ebd.