Balthasar Mayer
Balthasar Mayer wurde am 7. April 1878 in Rohrbach in Baden geboren (heute: Gießhübel-Rohrbach).1 Am 26. März 1904 heiratete er in Frankfurt-Griesheim Elisabeth Blamm aus Zweibrücken2 und wohnte dann mit seiner Frau in Griesheim in der Fabriciusstraße 11. 1925 kam er mit Bibelforschern (Jehovas Zeugen) in Kontakt, trat aus der Kirche aus und ließ sich als Bibelforscher taufen. Er besuchte die Zusammenkünfte (Gottesdienste) und missionierte mit seinen Glaubensbrüdern.3 Auch das Verbot der Nationalsozialisten konnte ihn nicht daran hindern, seinen Glauben weiter zu praktizieren.
Adolf Krämer aus Frankfurt-Höchst arbeitete mit dem Ehepaar Mayer bei der Verteilung der „Luzerner Resolution“4 zusammen. Er berichtet, was an diesem Tag geschah: „So kam auch der 12. Dezember 1936. Mittags kam unverhofft [Glaubens-]Br[uder] Fr. Meier aus Frankfurt, meine Frau und mich mit einer wichtigen Mission zu betrauen. Eine in der Schweiz gefaßte Resolution, unsere Religionsfreiheit betreffend, sollte in einem Brief, pünktlich 17.00 Uhr, durch eine Briefkastenaktion durchgeführt werden. […] Mit der Bemerkung sagte Schw[ester] Mayer aus Griesheim, wenn ihr mit euren 2 kleinen Kindern das Risiko der Verhaftung aufnehmen könnt, dann kann ich es auch.“5
Das Ehepaar Krämer wurde während der Aktion nicht gefasst. Anders jedoch das Ehepaar Mayer. Adolf Krämer erzählte weiter: „Was meine Griesheimer Brüder anbetrifft, wurden sie noch am selben Abend verhaftet und Schw. Lieschen [Elisabeth] Mayer kam erst 1945 wieder nach Hause. Bruder Mayer (aus Griesheim) kam mit mir nach Buchenwald, eine kurze Zeit entlassen, dann nach Dachau gebracht und dort kam er um.“
Hausbewohner hatten Balthasar Mayer während der Verteilung der Resolution in der Elektronstraße, der Fabriciusstraße und auch in Alt-Griesheim angezeigt. Aus Zeugenaussagen wird deutlich, dass die Resolution in Frankfurt viel Wirbel ausgelöst hat: „Am 12.12.36 gegen 17.30 Uhr befand ich mich auf einem Spaziergang durch den Stadtteil Ffm-Griesheim. Hierbei beobachtete ich den Beschuldigten, wie er am Gemeindegarten in an der Straße gelegene Hausbriefkästen etwas einwarf. […] Gegen 20 Uhr erfuhr ich […], daß im Stadtteil Ffm-Griesheim in Hausbriefkästen Flugblätter geworfen worden seien, die anscheinend von Bibelforschern eingeworfen worden seien.“6 Auch die Ortsgruppe der NSDAP wurde benachrichtigt, stellte Nachforschungen an und fand noch weitere Umschläge mit der Resolution in den Briefkästen.7 Noch am gleichen Abend nahm man das Ehepaar Mayer fest und durchsuchte ihre Wohnung und ihre Gartenlaube. Der Haftbefehl folgte auf dem Fuß.8 In der Anklageschrift ist zu lesen: „Der Beschuldigte wird wegen dringendem Verdacht des Verteilens von Illegalen Flugblättern zur weiteren Verfügung an die Staatspolizeistelle in Ffm eingeliefert.“9
Von der plötzlichen Verhaftung der Mayers war auch ihre Nichte betroffen, die bei ihnen lebte: „Ein in der Wohnung der Beschuldigten befindliches Kind […], 12 Jahre alt, eine Tochter des Bruders der Ehefrau Mayer wird bis morgen früh von einer Frau […], die im gleichen Hause wohnhaft ist beaufsichtigt. Am 13.12.36 wird das Kind zu einem Bruder des Beschuldigten […] Mayer […] gebracht. Die Wohnung der Beschuldigten wird am 13.12.36 versiegelt und die Schlüssel werden im 16. [Polizei]R[evier] aufbewahrt.“10 Das Mädchen war „von 1936 bis 1941 stets in Fürsorgeanstalten“.11 Danach kam sie in die Erziehungsanstalt Berlin-Tegel.
Am 4. Juni 1937 verhandelte das Sondergericht in Frankfurt gegen Balthasar und Elisabeth Mayer, Paula Lubowitzky (Frankfurt-Höchst), Adolf Krämer und dessen Schwiegervater Boleslaf Musolf (Frankfurt-Griesheim). Balthasar Mayer wurde „wegen illegaler Betätigung für die IBV [Internationale Bibelforscher Vereinigung]“12 zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt, die er in Frankfurt verbüßte (Strafgefängnis Frankfurt-Preungesheim, Gerichtsgefängnis Frankfurt-Höchst). Bei seiner Entlassung am 4. Januar 1938 wurde er sofort der Polizei überstellt und am 20. Januar 1938 ins KZ Buchenwald verschleppt. Dort musste er alle persönlichen Dinge abgeben, selbst Schuhe und Unterwäsche.13 Nach 15 Monaten wurde er am 20. April 1939 entlassen14 – offenbar nachdem er eine Verpflichtungserklärung abgegeben hatte, dass er sich nicht weiter als Bibelforscher betätigen würde.15
Seine Ehefrau Elisabeth, die gemeinsam mit ihrem Mann verhaftet worden war (U-Haft zunächst im Polizeigefängnis, ab 18.12.1936 dann in Frankfurt-Preungesheim), verurteilte man zu 2 Monaten Gefängnis, die durch die Untersuchungshaft bereits verbüßt waren. Trotzdem kam sie nicht frei. Man nahm sie in Schutzhaft und verbrachte sie ins KZ Moringen, dann nach Lichtenburg und Ravensbrück, wo sie am 14. Juni 1945 die Befreiung erlebte.
Balthasar Mayer war zwar zeitweise zu Hause. Trotzdem sollten die Eheleute sich nicht mehr wiedersehen. Elisabeth Mayer erzählte später, sie habe nach der Verurteilung keinerlei Verbindung mehr zu ihrem Mann gehabt und Nachrichten nur aus zweiter Hand erhalten.16 Am 10. April 1943 verhaftete man ihn erneut für einen angeblichen „Verstoss gegen das Heimtückegesetz“.17 Eine Anwohnerin hatte ihn wegen seiner Äußerungen gegen das Regime angezeigt.18 In der Anklageschrift wird er wie folgt zitiert: „Ich sage offen heraus, dass ich für den Führer und die gesamte Staatsführung nichts übrig habe, ich stehe von allem abseits. […] Von meinem Glauben kann ich nicht lassen, ich glaube an das ‚tausendjährige Reich‘, an den Tag, an dem die Menschen von den irdischen Qualen erlöst werden und keine Bosheit und Falschheit mehr ertragen müssen.“19 Man warf ihm vor, „noch keinerlei Anknüpfungspunkte zur heutigen Zeit und den heutigen Zeitgedanken gefunden“ zu haben. „Es besteht der starke Verdacht, dass der Angeschuldigte auch noch mit Bibelforschern in Verbindung steht.“20 Das Sondergericht Frankfurt verurteilte ihn am 5. Juli 1943 zu 8 Monaten Gefängnis, die er in Frankfurt-Preungesheim verbüßte. Bei der Aufnahmeuntersuchung wurden „keine gesundheitlichen Mängel festgestellt“ – mit einem Gewicht von 48 kg bei 156 cm Körpergröße. Außerdem wurde untersucht, ob der inzwischen 64-Jährige „vollzugstauglich, einzelhafttauglich, arbeitsfähig und moorarbeitsfähig“ sei.21 Die Gestapo übernahm ihn am 10. Dezember 1943 und lieferte ihn im Januar 1944 ins KZ Dachau ein.22 Er starb am 22. Januar 1945 im KZ Dachau an „Herzmuskelschwäche“.23
Nach der Verhaftung haben sich Balthasar und Elisabeth Mayer nur noch ein einziges Mal gesehen: bei der Sondergerichtsverhandlung am 4. Juni 1937. Beide wurden verhaftet, weil sie aktiv für ihre Überzeugung eintraten, und Balthasar Mayer ließ sein Leben, weil er weiter daran festhielt.
1 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rohrbach_am_Gie%C3%9Fh%C3%BCbel (letzter Zugriff: 27.05.2013).
2 Vgl. Heiratsurkunde von B. und E. Mayer (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden [HHStAW], Abt. 518, Nr. 498).
3 Vgl. Vernehmungsprotokoll vom 13.12.1936 (HHStAW, Abt. 461, Nr. 7668).
4 Jehovas Zeugen verteilten die „Luzerner Resolution“ am 12.12.1936 um 17.00 Uhr zeitgleich im ganzen Reichsgebiet. Mit dieser Protestaktion machten sie die Öffentlichkeit auf die grausame Misshandlung der Zeugen Jehovas und anderer Verfolgtengruppen aufmerksam und forderten das NS-Regime in scharfen Worten auf, diese brutalen Übergriffe einzustellen.
5 Vgl. Bericht von Adolf Krämer, 01.02.1971 (Archiv von Jehovas Zeugen, Deutschland).
6 Zeugenaussagen zu den Geschehnissen am 12.12.1936 in Frankfurt/Main (HHStAW, Abt. 461, Nr. 7668).
7 Ein in Frankfurt-Griesheim beschlagnahmtes Exemplar des großformatigen Flugblatts lag der Anklageschrift bei (HHStAW, Abt. 461, Nr. 7668).
8 Vgl. Gestapo-Kartei Ffm (HHStAW).
9 Vgl. Anklageschrift im Verfahren gegen B. Mayer et al. (HHStAW, Abt. 461, Nr. 7668).
10 Vgl. HHStAW, Abt. 461, Nr. 7668.
11 Vgl. Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt/Main (ISG), Vorprüfungsstelle, Sign. 17.
12 Vgl. Gestapo-Karteikarte (HHStAW).
13 Vgl. Effektenliste von B. Mayer (Archiv des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen [ITS], Doc. 6597161#1).
14 Vgl. „Balthasar Mayer“ (ITS).
15 Vgl. Anklageschrift vor dem Sondergericht Frankfurt/Main, 29.06.1943 (HHStAW, Abt. 461, Nr. 8733).
16 Vgl. Wiedergutmachungsakte ISG, Sign. 4.334.
17 Vgl. Gestapo-Karteikarte HHStAW.
18 Vgl. Zeugenaussage (HHStAW, Abt. 461, Nr. 8733).
19 Anklageschrift (Anm. 15) (HHStAW, Abt. 461, Nr. 8733).
20 Ebd.
21 Vgl. Untersuchungsaufzeichnungen zu B. Mayer (HHStAW, Abt. 409/4, Nr. 4625).
22 Vgl. Wiedergutmachungsakte zu B. Mayer (HHStAW, Abt. 518, Nr. 498).
23 Sterbeurkunde von B. Mayer, 24.01.1945 (ITS, Doc. 10198366#1).