Karoline Veith
Karoline Veith (geb. 17. Juni 1882 in Ober-Wöllstadt/Wetterau) wohnte in Frankfurt in der Rotlintstrasse 70 und arbeitete als Putzfrau.1 Sie gehört zu den (fast) vergessenen Opfern des NS-Regimes. Außer der Gestapo-Kartei existieren zu ihrer Verfolgungsgeschichte weder im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt am Main2 noch im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden3 irgendwelche Akten. Es wurde auch kein „Wiedergutmachungsantrag“ gestellt. Sie war ledig und hatte offenbar keine hinterbliebenen Angehörigen, die für sie einen solchen Antrag ausgefüllt hätten. Nicht einmal Überlebende oder Zeitzeugen können sich noch an sie erinnern.
Einige Informationen zu ihrer Familie stammen aus Unterlagen im Standesamt Wöllstadt4 und von einem Lokalhistoriker.5 Ihr Vater, der Zimmermann Philipp Franz Veith der Zweite, war katholisch (daher wurde Karoline, das fünfte von acht Kindern, katholisch getauft), ihre Mutter Karoline Veith sen. (geb. Fenster) evangelisch. Schon sehr früh wurde die kleine Karoline mit dem Tod konfrontiert. Ihre beiden ältesten Geschwister (geb. 1874) starben, noch ehe sie selbst geboren war. Zwischen ihrem 4. und 6. Lebensjahr verlor sie drei weitere Schwestern durch den Tod und mit 11 Jahren schließlich auch ihren Vater. Nun stand die Mutter mit drei Mädchen alleine da.
Wann sie die Bibelforscher (Zeugen Jehovas) kennen lernte und zu ihnen konvertierte und wann sie nach Frankfurt zog, ist unbekannt. Sicher ist: Während des Verbots der Zeugen Jehovas in der NS-Zeit war sie so aktiv, dass sie am 26. Mai 19386 in ihrer Wohnung in Frankfurt verhaftet und gleich tags darauf7 in Schutzhaft genommen wurde. Dabei fällt auf, dass die große Verhaftungswelle, die nach der Verteilung einer deutlichen Protestresolution gegen die Nationalsozialisten über Jehovas Zeugen hereinbrach, schon gut ein Jahr zurücklag.
Am 1. August 1938 verschleppte man sie ins KZ Lichtenburg8 (Häftlingsnummer 923),9 im Mai 1939 dann erst nach Ravensbrück10 und von dort in die „Euthanasie“-Anstalt Bernburg: „Die Tötungsanstalt Bernburg befand sich zwischen dem 21. November 1941 und dem 30. Juli 1943 in einem abgetrennten Teil der Landes-Heil- und Pflegeanstalt in Bernburg an der Saale (Sachsen-Anhalt).“11 Außer Kranken und Behinderten wurden ca. 5.000 Häftlinge aus sechs Konzentrationslagern in einer Gaskammer ermordet. Unter dem Decknamen „Aktion 14f13“ entledigten sich die Nationalsozialisten auf diese Weise schwer kranker oder nicht mehr arbeitsfähiger KZ-Häftlinge. Zuvor waren im Rahmen der „Aktion T4“ Kranke und Behinderte umgebracht worden, doch „in einem Schreiben nach dem angeordneten Stopp der Aktion T4 wurde angekündigt, die Anstalt Bernburg solle ‚in nächster Zeit KL-Angehörige bearbeiten‘“.12 Meist wurden die Häftlinge noch am Tag ihrer Einlieferung ermordet: „In die Garage konnten zwei bis drei Fahrzeuge vollständig einfahren. Erst danach durften die Insassen aussteigen. Sie wurden über eine geschlossene Rampe in das Erdgeschoss des Gebäudes gebracht und dort registriert, fotografiert und einem Arzt zur Festlegung der (falschen) Todesursache vorgestellt. Danach sammelte sich die Gruppe in zwei nebeneinander liegenden Räumen. Anschließend führten Angehörige des Pflegepersonals die Opfer in den Keller“,13 wo sich die Gaskammer befand. „In diesem Raum wurden 60 bis 75 Menschen eingeschlossen und mittels CO-Gas erstickt. Nach etwa einer Stunde wurde die Gaskammer entlüftet. Die Leichenbrenner spülten Erbrochenes und Exkremente von den Toten, zogen die Leichen aus der Gaskammer und transportierten sie auf der mit Terrazzoplatten ausgekleideten Strecke in den Leichenraum. […] Die Leichen wurden im Keller des Gebäudes in speziell dafür konstruierten Öfen verbrannt.“14
Unter den Todesopfern war auch Karoline Veith: „Nach Angaben in der Datenbank und im Gedenkbuch Ravensbrück wurde sie am 20. März 1942 in der ‚Euthanasie‘-Tötungsanstalt Bernburg ermordet.“15
Auch in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück existieren Unterlagen über Karoline Veith: „Bei dem Bestand an Unterlagen handelt es sich um lückenhaft überlieferte Listen des Konzentrationslagers, in denen personenbezogene Daten der ehemaligen Häftlinge (z. B. Name, Geburtsdatum, Haftnummer) verzeichnet sind. Es sind jedoch nur ca. 60-70 % der Namen aller ehemaligen Häftlinge überliefert, da die SS im April 1945 im großen Umfang die Original-Registratur von Ravensbrück vernichtet hat. […] Hinzu kommt, dass bei der Registrierung der Personendaten im Frauenkonzentrationslager oft keine Rücksicht auf die exakte Schreibweise der Namen und die korrekte Erfassung der Daten gelegt wurde. Deshalb haben wir bei den zahlreich durchgeführten Überprüfungen bereits häufiger geringfügige Abweichungen feststellen müssen.“16 „Ab Januar 1942 sind keine Sterbeurkunden dieser Art mehr überliefert. Von nun an gab es […] ein eigenes Standesamt mit der Bezeichnung Ravensbrück II. Es war in der Lagerkommandantur tätig und dem Lagerkommandanten unterstellt. Das dort geführte Sterbebuch ist bis heute nicht gefunden worden. Es ist jedoch aus anderen Unterlagen nachweisbar, dass ein solches geführt wurde. [...] Für das Jahr 1942 hat die Überlieferung der Registriernummern eine große Bedeutung, da sie Auskunft über sprunghaft angestiegene Zahl der Toten gibt. Im Standesamt Ravensbrück II kann bis zum 14.12.1942 eine Totenzahl von über 2.324 Männern und Frauen nachgewiesen werden. Hintergrund dieses Anstiegs ist die Tatsache, dass in den Konzentrationslagern die erste große planmäßige Massentötungsaktion unter der Tarnbezeichnung 14f13 stattfand. Sie hatte die Tötung von kranken KZ-Häftlingen zum Ziel. Aber nicht nur kranke, sondern auch jüdische Häftlinge, ernste Bibelforscher und Häftlinge, die der Lagerkommandantur unbequem waren, wurden als Opfer ausgewählt und den Transporten in die Gaskammer von Bernburg zugeordnet. […] Die Namen der Opfer lassen sich nur durch Häftlingsberichte und durch Auswertung von Friedhofsübersichten rekonstruieren […] Durch eine Sonderkommission in der SS-Kommandantur [wurden] Todesurkunden ausgestellt und in das Sterbebuch des Standesamtes Ravensbrück II eingetragen. […] Die Tötungen fanden im Februar/März 1942 statt, aber die Urkunden wurden mit Daten bis etwa um den 31. Juli 1942 ausgestellt. […] Das Standesamt Ravensbrück II, das mit deutscher Gründlichkeit arbeitete, schrieb mit eben dieser Gründlichkeit jene Falschbeurkundungen des Todesdatums. […] Das Gleiche gilt für die durch das Standesamt Ravensbrück II angegebenen Todesursachen. […] Die eigentliche Todesart ‚Ersticken durch Gas‘ sollte streng geheim bleiben. […] Auf die Tatsache, dass auch die ernsten Bibelforscher eine besondere Opfergruppe waren, wurde u. a. bei einer Begegnung mit Familienangehörigen von Zeugen Jehovas anlässlich einer Veranstaltung im November 1996 in Ravensbrück aufmerksam gemacht. Durch zielgerichtete Suche gelang es bisher, 18 Opfer namentlich zu benennen.“17 Nach neustem Forschungsstand hat sich die Zahl seit 2005 deutlich erhöht. Inzwischen können mindestens 23 Opfer namentlich benannt werden.18
Das erklärt, warum es so schwierig ist, Karoline Veiths Todesdatum zu nennen. Eine Mitgefangene, Marie Beilacher, füllte nach ihrer Befreiung einen Fragebogen zur Verfolgung für Karoline Veith aus und nannte als deren Todesdatum den 20. März 1942.19 Das offizielle Todesdatum ist jedoch der 13. Juni 1942,20 der auch in den National Archives Washington genannt wird.21 Der Eintrag auf der Gestapo-Kartei lautet: „Verstorben am 19.6.1942.“22 Schließlich findet sich auf dem Auszug des Standesamtes Wöllstadt der handschriftliche Eintrag „St. Amt Ravensbrück II./Mekl. No 1798/1942 verst. 13.6.1942“.23 Dieses Datum trägt auch der Stolperstein zum Gedenken an Karoline Veith, die ihrer Überzeugung selbst angesichts des Todes in der Gaskammer treu blieb.
1 Vgl. Gestapo-Kartei Frankfurt (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt/Main [IfS]).
2 Evtl. vorhandene Akten sind bei einem großen Brand im Frankfurter Stadtarchiv verloren gegangen. Auch die Adressbücher der Stadt (Mikrofilme) liefern keinen Hinweis auf Karoline Veith.
3 Vgl. Brief von Dr. Eichler an Erika Krämer vom 28.08.2013: „...im Hessischen Hauptstaatsarchiv trotz sehr eingehender Recherchen keine Unterlagen festgestellt werden konnten“.
4 Vgl. Auszug aus dem Standesamtregister der Gemeinde Wöllstadt, Nr. SKMBT C36013091711320.
5 Dr. Jürgen Hofmann (Gespräch mit Erika Krämer am 21.09.2013).
6 Vgl. Auskunft über K. Veith, ausgefüllt von Marie Beilacher (Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa [JZD]).
7 Vgl. Gestapo-Kartei Frankfurt (Anm. 1).
8 Vgl. ebd.
9 Auskunft der Gedenkstätte Ravensbrück, 17.09.2013.
10 Ebd.
11 Wikipedia, „Tötungsanstalt Bernburg“ (http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%B6tungsanstalt_Bernburg [letzter Zugriff: 02.10.2013]).
12 Ebd.
13 Homepage der Gedenkstätte Bernburg (http://www.gedenkstaette-bernburg.de/site/euthanasie/euthanasie.html [letzter Zugriff: 02.10.2013]).
14 Ebd.
15 Petra Busmann et al., Frankfurt am Main – FrauenKZ Ravensbrück. Lebensspuren verfolgter Frauen“, Frankfurt/Main 2009, S. 101.
16 Auskunft der Gedenkstätte Ravensbrück, 17.09.2013.
17 Mahn- u. Gedenkstätte Ravensbrück (Hg.), Gedenkbuch für die Opfer des Konzentrationslagers Ravensbrück 1939-1945 (wissenschaftliche Leitung: Bärbel Schindler-Saefkow unter Mitarbeit von Monika Schnell), Berlin 2005, Seiten 39 bis 42
18 JZD, Auskunft vom 02.10.2013.
19 Vgl. Auskunft über K. Veith (Anm. 6). Marie Beilacher gab als Todesursache „gewaltsam“ an.
20 Vgl. Archiv des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen [ITS].
21 Auskunft der Gedenkstätte Ravensbrück, 17.09.2013.
22 Gestapo-Kartei (Anm. 1).
23 Auszug aus dem Standesamtregister der Gemeinde Wöllstadt Nr. SKMBT C36013091711320.