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Bernhard Kell

Johannes1 Bernhard Kell wurde am 21. Januar 1874 in Rüdenhausen2 geboren. Allerdings wohnte er bereits im Jahr seiner Geburt in Frankfurt, dort war er auch bis zu seinem Tod 1944 gemeldet. Um 1900 heiratete er zum ersten Mal, es ist nur bekannt, dass aus dieser Ehe zwei Töchter hervorgingen.3 Am 18. Dezember 1925 heiratete4 Bernhard Kell erneut: Margarethe Kell geb. Richter (geb. 27.02.1894 in Oberzell, Kreis Schlüchtern).5 Die beiden Töchter aus erster Ehe waren zu dieser Zeit 19 und 23 Jahre alt.

Um 19326 wurde Bernhard Kell ein Zeuge Jehovas (damals noch als „Bibelforscher“ bekannt). Er arbeitete als Elektromechaniker bei der Hartmann & Braun AG Frankfurt-West.

Bald nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten bekam er Schwierigkeiten wegen seiner religiösen Einstellung. Dies führte schließlich zu einem Prozess vor dem „Ehren- und Disziplinargericht der Deutschen Arbeiterfront (DAF)“. Im Urteil vom 9. Juni 1937 hieß es: „Auf Grund verschiedener Bibelstellen kann es der Angeklagte nicht vereinbaren, mit ‚Heil Hitler‘zu grüßen und sich am Singen des Deutschland- und Horst-Wessel-Liedes zu beteiligen. Auch in der Hauptverhandlung hat der Angeklagte den Deutschen Gruss verweigert und mit einer Verbeugung gegrüßt. […] Das Verhalten des Angeklagten ist eindeutig staatsfeindlich. […] Es ist zwar richtig, dass der Handlungsweise des Angeklagten religiöse Motive zu Grunde liegen. Es kommt hier aber nicht auf die Motive, sondern auf das staatsfeindliche Ergebnis an. […] Schließlich kann sich der Angeklagte auch nicht darauf berufen, dass er im Geschäftsbetrieb immer seine Pflicht getan habe; denn diese hat er letzten Endes nur für sich, um seinen Lebenserwerb sicher zu stellen, also aus Privatinteresse, getan. Der Angeklagte ist damit eines staatsfeindlichen Verhaltens überführt. Ein derartiges Verhalten wie im vorliegenden Fall ist ein ehrenrühriger und asozialer Verstoß gegen die Bestrebungen der DAF […] Die dem Angeklagten zur Last gelegte Handlungsweise ist nach dem Empfinden eines jeden anständigen Deutschen gemein. Da eine Aussicht auf Besserung nicht besteht, musste der Angeklagte dauernd aus der DAF ausgeschlossen werden.“7

Nach dem Ausschluss von Bernhard Kell aus der DAF drängte die DAF-Kreisverwaltung auf seine fristlose Entlassung. Sein Arbeitgeber kam der Entlassung durch die Versetzung in den Ruhestand zum 31. Dezember 1936 zuvor. „Damit wurde das Ansuchen der DAF-Kreisverwaltung auf fristlose Entlassung des Herrn Kell wegen Störung des Arbeitsfriedens infolge seiner religiösen Einstellung umgangen.“8

Dass seine Haltung auch seinen Kollegen bekannt war, geht aus der eidesstattlichen Erklärung eines ehemaligen Kollegen hervor: „Ich kenne den Herrn Bernhard Kell, geb. am 24. 1. 1874, gestorben am 18. 2. 1944 in Lublin, seit dem Jahr 1904. […] Bei Betriebsapellen [sic] hatte er die Hand nicht hochgenommen, nicht mitgesungen und den Hitler-Gruss nicht erwidert. Darüber fanden wiederholt Verhandlungen vor dem damaligen Vertrauensrat der D.A.F. statt, sodass mit Sicherheit die Entlassung von Kell durch die Firma verlangt worden wäre. […] In der Folgezeit wurde Bernhard Kell von der Gestapo verhaftet, kam zunächst nach Buchenwald, von da nach Dachau und dann nach dem Todeslager Lublin, wo er nach 6jähriger Lagerhaft verstorben ist. Aus Briefen, die er vom Lager aus an seine Frau schrieb, die ich zum Teil gelesen habe, ferner aus Bemerkungen, die die Lagerleitung auf solche Briefe schrieb, konnte ich ersehen, dass er von seiner antifaschistischen Einstellung nicht abgegangen war. Er war Bibelforscher und blieb seiner Überzeugung treu.“9

Nach gut einem Jahr wurde er am 20. Mai 1938 (fast auf den Tag genau 77 Jahre danach fand die Stolperstein-Verlegung statt) in seiner Wohnung, Voltastrasse 55, verhaftet, in Schutzhaft genommen und anscheinend ohne Gerichtsprozess zunächst in Frankfurt inhaftiert. Bereits am 28. Juli 193810 wurde er ins KZ Buchenwald „überführt“11 wo er unter der Häftlingsnummer 5117 im Block 5012 gefangen gehalten wurde. Laut Effekten-Kartei erfolgte seine Einlieferung in Buchenwald am 30. Juli 1938 um 11.00 Uhr. In der Effektenkammer wurden ihm 1 Hut, 1 Paar Schuhe, 1 Paar Strümpfe, 1 Rock (Jacket), 1 Hose, 1 Weste, 1 Pullover, 5 Hemden, 1 Unterhose, 1 Kragen, 1 Binder (Krawatte), 1 Füllfederhalter und 1 Bund Schlüssel abgenommen.13

Im KZ Buchenwald verblieb er bis Juni 1942. Von dort ist noch ein Brief an seine Ehefrau erhalten. Am 21. September 1941 schrieb er: „Herzens Gretel! Geldbrief erhalten. Wenn mal Operation dringend, längeres Krankenhaus notwendig, Marschen unterrichten. Inventaraufstellung machen. Wie oft Dr. Jaschek untersucht? Wer operiert? Fotofachhefte Wohnung aufheben. Grüsse alle. Küsst dich Bernhard. Postanweisungen dürfen zu irgendwelchen Mitteilungen nicht benutzt werden.“14 Die Rückseite des Briefes trägt den obligatorischen Stempel: „Der Schutzhäftling ist nach wie vor hartnäckiger Bibelforscher und weigert sich, von der Irrlehre der Bibelforscher abzulassen. Aus diesem Grunde ist ihm lediglich die Erleichterung, den sonst zulässigen Briefverkehr zu pflegen, genommen worden.“

Seine nächste Station war das KZ Dachau. Der Eintrag auf der Gestapo-Karteikarte vom 23. Juli 1942 besagt, dass er „am 6. 6. 1942 aus dem KZL. Buchenwald nach dem KZL. Dachau verschubt“15 wurde. Die Karteikarte der Effektenkammer im KZ Buchenwald enthält den Hinweis „Entl. am 6. 7. 42 nach Konz-Lager Dachau“.16 Im Archiv des Internationales Suchdienstes in Bad Arolsen (ITS) ist vermerkt, dass er am 9. Juli 1942 mit einem Invalidentransport (aus den Lagern Buchenwald und Gross-Rosen) ins KZ Dachau kam.17 Da alle anderen Quellen den Transport nach Dachau auf Anfang Juli 1942 datieren, liegt nahe, dass die Gestapo-Kartei einen Schreibfehler enthält; statt „6. 6. 1942“ muss es wohl richtig „6. 7. 1942“ heißen.

Im KZ Dachau bekam Bernhard Kell die Häftlingsnummer 31000. Von dort liegen im Archiv des ITS einige Empfangsbestätigungen für Brief- und Paketsendungen sowie eine „Geldkarte“ vor. Er war im Blockbuch des Blocks 16 registriert.18 Etwa eineinhalb Jahre später, am 3. Januar 1944, wurde er von Dachau ins KZ nach Lublin „befördert“.19 Dort erhielt er die Häftlingsnummer 2665 (Hauptlager: Majdanek).20 Er starb nur etwas mehr als einen Monat später: am 18. Februar 1944 um 2.40 Uhr – gemäss der Sterbeurkunde in Lublin, Cholmer-Straße.21 Die Sterbeurkunde wurde erst am 7. Juni 1944 ausgestellt. Zur Todesursache liefern die Archivbestände keinen Hinweis. Gewöhnlich wurden die Leichen der Häftlinge im Krematorium verbrannt. Die Asche wird bis heute in der Gedenkstätte im „Mausoleum für die Opfer des Faschismus“ aufbewahrt: „Es ähnelt einer flachen Schale, deren Deckel angehoben ist. Das Denkmal hat einen Durchmesser von rund 20 m und ist gefüllt mit der Asche ermordeter Menschen.“22 „Seit der Jahreswende 1943/44 erfüllte Majdanek die Funktion einer Mordstätte für kranke Häftlinge anderer Lager und deportierte polnische Zivilisten. […] Ende Juli 1944 wurde das Konzentrationslager Majdanek von der SS überhastet geräumt. Vor dem Abtransport der Gefangenen wurden alle Dokumente vernichtet und die Gebäude samt dem großen Krematorium in Brand gesetzt. In der Eile des Rückzugs versäumten die Deutschen jedoch die Zerstörung der Gaskammern und eines Großteils der Gefangenenbaracken. Das KZ Majdanek wurde am 23. Juli 1944 aufgelöst. Angehörige der Roten Armee fanden im Lager noch 1000 kranke sowjetische Kriegsgefangene vor. Da die meisten Häftlinge bereits vor der Ankunft der Roten Armee evakuiert wurden, spricht man in Majdanek von der Auflösung und nicht von der Befreiung des Lagers.“23

Seine Witwe stellte nach der NS-Zeit einen Wiedergutmachungsantrag. Die Bearbeitung zog sich über viele Jahre hin. Sie lebte bis zu ihrem Tod in Frankfurt in der Voltastrasse 55, wo auch der Stolperstein verlegt ist. Sie starb am 6. Dezember 1990 in Frankfurt.

Das Leben von Bernhard Kell lässt mit den Worten seines ehemaligen Kollegen zusammenfassen: „Er war Bibelforscher und blieb seiner Überzeugung treu.“24

Der Stolperstein für Bernhard Kell wurde am 18. Mai 2015 vor dem Haus Voltastraße 55 verlegt

Foto: Privat

1 Der Vorname Johannes kommt nur in zwei Dokumenten vor (Heiratsurkunde und Sterbeurkunde). Er wurde ansonsten immer Bernhard genannt. Vgl. Heiratsurkunde und Sterbeurkunde in Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW), Abt. 518, Nr. P2531.12.

2 Heute im bayerischen Landkreis Kitzingen.

3 Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (IfS), Akte NS-Verfolgte, Sign.-Nr. 3.258.

4 Vgl. Heiratsurkunde im Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW), Abt. 518, Nr. P2531.12.

5 Vgl. ebd.

6 Vgl. HHStAW, Abt. 483, Nr. 7172, Urteil Ehren- und Disziplinargericht der Deutschen Arbeiterfront.

7 Ebd.

8 Vgl. Bescheinigung nach Kriegsende, HHStAW, Abt. 518, Nr. P 2531/12.

9 HHStAW, Abt. 518, Nr. P2531.12.

10 Vgl. IfS (Anm. 3).

11 Vgl. Gestapo-Karteikarte, HHStAW, Gestapokartei.

12 Vgl. IfS (Anm. 3).

13 Vgl. Einlieferungskarte Effektenkammer, Archiv des Internationalen Suchdienstes Bad Arolsen (ITS), Doc. No. 6257473#1.

14 Vgl. IfS (Anm. 3).

15Vgl. Gestapo-Kartei Karte HHStAW Gestapokartei

16 Vgl. Einlieferungskarte ITS (Anm. 13).

17 Vgl. Archiv ITS.

18 Vgl. ebd.

19 Vgl. Gestapo-Karteikarte, HHStAW, Gestapokartei.

20 Vgl. Archiv ITS

21 Vgl. Sterbeurkunde, HHStAW, Abt. 518, Nr. P2531.12.

22 Vgl. polish-online.com (letzter Zugriff: 16.04.2015).

23 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Majdanek (letzter Zugriff: 16.04.2015).

24 Vgl. eidesstattliche Versicherung, HHStAW, Abt. 518, Nr. P2531.12.