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Katharina Schmid

Katharina Schmid (geb. Reimann) wurde am 1. Januar 1889 in Wiesbaden-Biebrich geboren. Schon als Kind hat sie „überhaupt Zweifel an der katholischen Lehre bekommen“.1 Sie heiratete am 7. April 1915 nach Frankfurt,2 wo sie 1932 im Hippodrom3 das „Schöpfungsdrama“ der Bibelforscher besuchte, das sie zum Bibellesen anregte. 1933 trat sie aus der katholischen Kirche aus.

Zwar wusste sie, dass die Nationalsozialisten die Bibelforscher (Jehovas Zeugen) verboten hatten, doch sie besuchte trotzdem religiöse Zusammenkünfte bei Ludwig Eichhorn und Willi Stein, der ihr gelegentlich sogar eine Ausgabe des Wachtturms auslieh. Diese Zusammenkünfte wurden dann aber bald zu gefährlich, so dass man sie einstellte.

Katharina Schmid besuchte 1935 Elisabeth Schäfer,4 von der sie wusste, dass auch sie früher katholisch gewesen und inzwischen Zeugin Jehovas geworden war.5 Dort traf sie auf 16 Gleichgesinnte, die weiter religiöse Zusammenkünfte abhielten. Katharina Schmid gewann Achtung vor diesen Menschen und ihrer Tätigkeit. Gern wäre sie öfter zu diesen Zusammenkünften gegangen, aber wie sie später während ihrer Vernehmung erklärte, hatte sie nicht den Mut, ihren Mann um Erlaubnis zu bitten. Auch habe ihr das Geld gefehlt, „um zu der weit weg wohnenden Frau Schäfer mit der Elektrischen [Straßenbahn] zu fahren“. Der Besuch bei Elisabeth Schäfer war wahrscheinlich die letzte Zusammenkunft mit Glaubensbrüdern, die Katharina Schmid erlebte. Einen Besuch von Zeugen Jehovas in der eigenen Wohnung hätte ihr Ehemann nicht geduldet.6 Er war Laborgehilfe in der Frankfurter Universitätsklinik (weshalb sie eine Dienstwohnung in der Paul-Ehrlich-Straße hatten) und bei der SA.7

Seit einiger Zeit hegte Katharina Schmid im Stillen den Wunsch, getauft zu werden. Zu ihrem Entschluss sagte sie später bei ihrer Vernehmung: „Ich musste getauft werden, ich habe mich Gott geweiht und da gehört die Taufe dazu, ich finde auch nichts unrechtes dabei!“8

Als sie eines Tages das Ehepaar Muth in der Emserstraße 16 in Frankfurt-Bockenheim besuchte, unterhielt sie sich mit Ernst Muth und Marie Schättle, der ersten Zeugin Jehovas in Frankfurt, über die Taufe. Auch die Eheleute Muth waren noch nicht getauft – und so entstand die Idee, dass sie sich alle in der Wohnung von Katharina Schmid in Niederrad taufen lassen könnten, und zwar während ihr Ehemann und ihre Tochter auf Reisen wären. Am 28. Februar 1937 war es so weit: Insgesamt fünf Personen ließen sich in Niederrad in der Paul-Ehrlich-Straße 40 taufen – neben dem Ehepaar Muth und Katharina Schmid waren dies die Bockenheimer Emma Peschel (Nauheimer Straße 17) und Margarethe Sturm (Wurmbachstraße 11). Der Täufer war Friedrich Meyer (Stoltzestraße 20).9

Diese Taufe wurde allen dreien als schweres Vergehen angelastet: „Die Taufe bildet das stärkste Mittel zur Aufrechterhaltung des Zusammenhalts. Sie bindet die Glaubensbrüder und -schwestern untereinander […]. Sie haben zum mindesten damit gerechnet, dass durch ihr Tun und Treiben der Zusammenhalt unter den Bibelforschern gefördert wurde.“

Allen wurde bescheinigt, „dass sie aus religiöser Überzeugung und ohne jegliche politische Nebenabsicht gehandelt haben. […] Besonders die Angeklagte Schmid hat den Eindruck einer tiefreligiösen und nach Wahrheit strebenden Frau gemacht.“

Dennoch wurden alle drei verhaftet. Katharina Schmid traf es nur wenige Tage nach ihrer Taufe: am 16. März 1937 um 18.00 Uhr; um 19.20 Uhr liefert man sie ins Polizeigefängnis ein.10 Zwei Tage später verbrachte man sie ins Gefängnis nach Preungesheim.

Einer Vernehmung noch im Polizeigefängnis folgte die Empfehlung an das Gericht, Katharina Schmid ins KZ einzuweisen: „Die Ehefrau Schmid ist eine unbeschreiblich fanatische Anhängerin der IBV [Internationale Bibelforscher-Vereinigung]. Auch sie wurde noch am 28. Februar 1937 […] getauft. Bei ihrer Vernehmung benahm sich die Beschuldigte äusserst ungebührlich. U.A. erklärte sie, nicht die Menschen, sondern Gott gibt mir mein Brot […]. Ihre Aussagen machte die Schmid stets nur nach Vorhalt. […] Eine exemplarische Bestrafung und Unterbringung in ein Schulungslager erscheint am Platze, da gerade diese Personen der Polizei bisher stets unbekannt blieben und so durch die Möglichkeit gegeben war, dass bei denselben die auswärtigen Bezirksdienstleiter Unterschlupf fanden.“11

Wenige Tage vor der Sondergerichtsverhandlung wandte sich der Ehemann von Katharina Schmid an das Gericht mit der Bitte, „wegen ihres Glaubens, an dem sie mit allen Fasern hängt“, und mit Rücksicht auf ihr Alter und erlittene Schicksalsschläge Milde walten zu lassen.12

Am 23. Juni 1937 sprach das Sondergericht Frankfurt das Urteil: 3 Monate Gefängnis „nach §§ 1 und 4 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933“.13 Die Strafe galt durch die Schutz- und Untersuchungshaft als verbüßt. Trotzdem wurde Katharina Schmid sofort der Polizei übergeben, die sie ins KZ Moringen verschleppte. Bald danach kam sie nach Lichtenburg, 1939 dann nach Ravensbrück (Häftlingsnummer 145, Block 5b). In einem Brief von dort schrieb sie an ihre Familie: „1000 freudige Grüße und K. Dir Papa und Kinder in Treue. Ka 10 Mark Dank.“

Was Katharina Schmid nicht wusste: Ihr Ehemann hatte sich schon ein Vierteljahr nach ihrer Verhaftung von ihr scheiden lassen und heiratete eine andere Frau. Mit der Tochter besprach er, sie solle die Mutter nach ihrer Rückkehr aus dem KZ bei sich aufnehmen. Dafür überließ er ihr einen Teil der Möbel, Hausrat und die Wäsche der Mutter – was die Tochter jedoch durch die Bombardierung Frankfurts am 18. März 1944 komplett verlor. Ab 17. Mai 1939 lebte die Tochter allein, da „ich infolge dauernder Unzuträglichkeiten mit meinem Vater und dessen damaliger Braut es nicht länger ertragen konnte zu Hause weiter zu leben“.14

Im Juni 194215 kam Katharina Schmid nach Auschwitz (Häftlingsnummer 8354). Auch von dort schrieb sie weiter an die Familie.16 In ihrem langen Brief vom 7. Mai 1944 betonte sie noch, wie sehr sie ihre Familie liebte.17

Die Betreuungsstelle für Verfolgte befragte die Tochter 1948 zu den Briefen ihrer Mutter, was diese folgendermaßen kommentierte: „Betreffs der Frage, warum meine Mutter Briefe aus dem KZ auch nach ihrer Scheidung weiter an meinen Vater adressierte, möchte ich dazu bemerken, dass es meiner Mutter nicht bekannt war, dass mein Vater eine neue Ehe eingegangen war, und sie ja immer mit ihrer Heimkehr und Wiedervereinigung mit der Familie rechnete.“18

Über die Auflösung des Lagers und den Todesmarsch von Auschwitz berichtete Selma Klimaschewski, langjährige Mitgefangene von Katharina Schmid: „In der Nacht zum 18.1.1945 wurden wir in Marsch gesetzt nach Groß-Rosen und von dort nach Mauthausen in Oberösterreich transportiert. Bei dem Eisenbahntransport zog sich Frau Schmid eine Verletzung am Bein zu. Sie klagte über starke Schmerzen. Es war kein Arzt verfügbar. Sie ist dann am 22. Februar 1945 bei Nürnberg an dieser Verletzung, wohl infolge einer Blutvergiftung, gestorben.“19 Die Familie erfuhr jedoch nichts davon. Die Tochter wartete also nach Kriegsende auf die Rückkehr der Mutter und stellte schließlich im Oktober 1945 Nachforschungen an, die folgende Anfrage der Betreuungsstelle nach Nürnberg auslöste: „Vor Nürnberg soll sich Fr. Schmid bei einem Tieffliegerangriff eine Beinverletzung zugezogen haben. An Wundfieber soll dann Fr. Schmid im Zuge verstorben sein. Später soll sie dann in Nürnberg ausgeladen worden sein und auf dem Gefangenenfriedhof beigesetzt worden sein. […] Da es in Auschwitz üblich war, den Häftlingen die Lagernummer auf den linken Unterarm zu tätowieren, erlauben wir uns, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass die Lagernummer 8354 war, da dies bei evtl. Ausgrabungen für Sie von grösster Bedeutung sein könnte.“20 Aus Nürnberg kam die Antwort, dass „über das Verbleiben von Käthe Schmid leider keine Auskunft gegeben werden kann. Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass auf keinem der Nürnberger Friedhöfe die Leiche beigesetzt wurde. Auch in den Verzeichnissen der Luftangriffsopfer ist der Name Käthe Schmidt nicht auffindbar.“ Vielleicht blieb die Suche wegen eines falsch übermittelten Geburtsdatums (11.01.1889) erfolglos.

Erst die eidesstattliche Erklärung von Selma Klimaschewski brachte der Familie Gewissheit: „Frau Schmid wurde mit den bei einem Fliegerangriff durch Bomben Getöteten beerdigt. Ich entsinne mich der Vorgänge noch besonders gut, weil wir uns menschlich sehr nahe standen. Erwähnen darf ich noch, dass Frau Schmid, ebenso wie ich, westerwälder Abstammung war.“21

Drei Jahre nach ihrem Tod wurde Katharina Schmid schließlich für tot erklärt.22 Es wurde „zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht, dass diese nach der eidlichen Aussage der Missionsgehilfin Gertrud Ott aus Limburg am 22. Februar 1945 auf dem Transport nach Bergen-Belsen an Wundrose gestorben ist. […] Als Zeitpunkt des Todes war der 22. Februar 1945 […] festzusetzen.“23

Katharina Schmid kam nur 2½ Wochen nach ihrer Taufe als Zeugin Jehovas in Haft, brachte 8 Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern zu und hat den Todesmarsch nicht überlebt. Diese Frau, die für ihre Überzeugung in den Tod ging, ist bis heute Vorbild und Mahnung zugleich.

Stolperstein für Katharina Schmid vor der Paul-Ehrlich-Straße 40 in Frankfurt am Main.

Foto: Privatbesitz

Stolpersteinverlegung durch Gunter Demnig in der Paul-Ehrlich-Straße 40 am 20. Juni 2013

Foto: Privatbesitz

Die Frankfurter Rundschau berichtete am 21. Juni 2013 über die Verlegung des ersten Gedenksteins für eine Zeugin Jehovas in Frankfurt am Main:
https://www.fr.de/frankfurt/erster-stein-zeugin-jehovas-11079558.html


1 Sondergerichtsurteil vom 23.06.1937 (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden [HStAW], Abt. 461, Nr. 7688).

2 Vgl. Heiratsurkunde in: HStAW, Abt. 518, Nr. 675.

3 Reit- und Veranstaltungshalle an der Stresemannallee mit ca. 2.000 Sitzplätzen. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

4 E. Schäfer wohnte in Frankfurt, Bornheimer Landstraße; vgl. Brief von K. Schmid an das Amtsgericht Frankfurt (HStAW, Abt. 461, Nr. 7686).

5 E. Schäfer hatte durch M. Schättle, die erste Bibelforscherin in Frankfurt, die Religionsgemeinschaft bereits 1915 kennen gelernt, war 1916 aus der katholischen Kirche ausgetreten und im selben Jahr als Bibelforscherin getauft worden.

6 Brief von K. Schmid an das Amtsgericht Frankfurt (HStAW, Abt. 461, Nr. 7686).

7 Vgl. eidesstattliche Erklärung von H. Pfister (HStAW, Abt. 518, Nr. 675).

8 Vernehmungsprotokoll vom 17.03.1937 (HStAW, Abt. 461, Nr. 7686).

9 Informationen aus dem Sondergerichtsurteil vom 23.06.1937 (Anm. 1). Vor diesem Gericht mussten sich außer K. Schmid (48 Jahre alt) auch E. Peschel (68) und eine gewisse Julie Giloy (45) verantworten.

10 Vgl. Dokumente in: HStAW, Abt. 461, Nr. 7686.

11 Vernehmungsprotokoll vom 17.03.1937 (Anm. 8).

12 Brief von A. Schmid an das Sondergericht Frankfurt, 13.06.1937 (HStAW, Abt. 461, Nr. 7686).

13 Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes vom 4. Februar 1933, Versammlungen und Aufzüge. § 1 (1) Öffentliche politische Versammlungen sowie alle Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel sind spätestens achtundvierzig Stunden vorher unter Angabe des Ortes, der Zeit und des Verhandlungsgegenstandes der Ortspolizeibehörde anzumelden. (2) Sie können im Einzelfall verboten werden, wenn nach den Umständen eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu besorgen ist. Statt des Verbots kann eine Genehmigung unter Auflagen ausgesprochen werden. Zuständig sind, soweit die obersten Landesbehörden nichts anderes bestimmen, die Ortspolizeibehörden. (3) Ausgenommen sind Veranstaltungen nicht politischer Art. (4) Eine Anordnung nach Abs. 2 kann nach den Bestimmungen des Landesrechts angefochten werden. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. […] § 4 (1) Ist eine Versammlung für aufgelöst erklärt, so hat die Polizeibehörde dem Leiter oder Veranstalter der Versammlung die mit Tatsachen zu belegenden Gründe der Anordnung schriftlich mitzuteilen, falls er dies binnen drei Tagen beantragt. (2) Die Auflösung kann nach den Bestimmungen des Landesrechts angefochten werden (aus: document Archiv.de).

14 Brief der Tochter vom 08.09.1948 als Anlage zum Fragebogen zur Verfolgung ihrer Mutter (HStAW, Abt. 518, Nr. 675).

15 Vgl. eidesstattliche Erklärung von S. Klimaschewski (ebd.).

16 Vgl. Haftbrief aus dem KZ Auschwitz, Poststempel 18.05.1944 (ebd.).

17 Vgl. Haftbrief aus dem KZ Auschwitz, 07.05.1944 (ebd.).

18 Brief der Tochter vom 18.10.1948 an die Betreuungsstelle (ebd.).

19 Eidesstattliche Erklärung von S. Klimaschewski (Anm. 15).

20 Bescheid der Betreuungsstelle (HStAW, Abt. 518, Nr. 675).

21 Eidesstattliche Erklärung von S. Klimaschewski (Anm. 15).

22 Vgl. Todeserklärung vom 18.02.1948 (HStAW, Abt. 518, Nr. 675).

23 Ebd. Der Todesmarsch von Auschwitz führte über Groß-Rosen und Mauthausen (s. obige Angabe in der eidesstattlichen Erklärung von S. Klimaschewski) nach Bergen-Belsen (das durch G. Ott und in der Todeserklärung als Endziel des Todesmarschs von Auschwitz genannt wurde, da K. Schmids Todesort nicht näher spezifizierbar war); vgl. http://www.ruhr-uni-bochum.de/bsz/516/516shoah.htm sowie den Erlebnisbericht von Olga Horak unter: http://www.hartung-gorre.de/Olga_Horak.htm; (letzter Zugriff: 20.05.2013).