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Kapitel 7

Nach 1945 – Rückkehr und Neubeginn

Viele der aus Frankfurt verschleppten Zeugen Jehovas, die im ganzen Deutschen Reich inhaftiert waren, konnten nach Ende des Krieges in ihre Heimat zurückkehren.

Rosa Hägele aus der Habsburger Allee 15 war unter ihnen.
Um ihr die Heimkehr zu ermöglichen, erhielt sie eine Bescheinigung vom Bürgermeister der Stadt Neuruppin, ausgestellt am 10. Juli 1945 mit folgendem Wortlaut: „Hierdurch wird bescheinigt, dass Frl. Rosa Hägele, geb. 13.1.13. in Frankfurt/M. nach ihren eigenen Angaben, die überprüft wurden, 7 Jahre im Konzentrationslager (Lichtenburg, Ravensbrück) inhaftiert gewesen ist. Die genannte reist mit Gepäck in ihre Heimat nach Frankfurt/M., zurück. Es wird gebeten, ihr die notwendige Unterstützung und freie Passage zu gewähren.“

Erst am 2. September 1945 traf sie wieder in Frankfurt ein. Über die Zeit danach berichtete sie: „Nach meiner Rückkehr im September 1945 war mein Gesundheitszustand so, dass ich weder als Packerin, noch als Verkäuferin tätig sein konnte. Durch Lernen und Übung ist es mir gelungen, mich in der Zeit weiterzubilden, sodass ich im April 1948 eine Stelle als Stenotypistin antreten konnte.“

Porträt von Rosa Hägele nach der KZ Haft

FOTO: JEHOVAS ZEUGEN, ARCHIV ZENTRALEUROPA

Der Griesheimer Adolf Krämer erinnerte sich an die Heimkehr vier Wochen nach Kriegsende: „Wir sind damals schlecht nach Frankfurt gekommen, weil keine Eisenbahn ging, es waren keine Autos mehr da, die Wege waren kaputt“. Glücklicherweise konnte er zusammen mit anderen Befreiten aus Frankfurt für die Heimfahrt ein Lastauto beschaffen. „Als ich nach Frankfurt kam, sind wir abgestiegen in der Rohrbachstraße“. Zu Fuß musste er quer durch die zerbombte Stadt nach Hause laufen. „In der Mainzer Landstraße 606 habe ich gewohnt. Da sind drei Reihenhäuser. Da bin ich immer schön gewandert. Als ich hinkam sah ich, das Haus stand noch, aber das Dach war weg, und die Fenster waren mit Brettern zugenagelt. [...] Meine Frau und meine drei Kinder waren in Alsfeld in Oberhessen evakuiert“. 

In den ersten Monaten nach der Rückkehr musste das Leben neu organisiert und alles wieder mühsam hergerichtet werden. Auch die Verpflegung war sehr knapp. 

1946 wurde deshalb von Jehovas Zeugen im Ausland ein Hilfsprogramm für die bedürftigen deutschen Glaubensbrüder in Gang gesetzt.
EXTERNER LINK: https://www.jw.org/de/bibliothek/artikelserien/aus-unserem-archiv/alles-war-vom-besten/

Mit diesem Uhrmacher-Werkzeug arbeitete Jakob Krämer in Frankfurt

Foto: privat

In Frankfurt kamen außerdem private Hilfspakete an. Emmy Lehrbach, die nach achtjähriger Haft nach Hause – Hinter den Ulmen 22 – zurück gekehrt war, berichtete darüber: „Ich war kaum zuhause, erhielt ich ein großes Paket aus Amerika. [...] Meine Adresse wurde nicht nur in Allenstown, wo der Bruder [ein Glaubensbruder, der privat ein Paket schickte] wohnte, sondern auch in anderen Städten bei den Brüdern bekannt. Ich konnte mit vollen Händen an Brüder [der Frankfurter Gemeinde] verteilen“.  

Adolf Krämer, von Beruf Maler und Lackierer, baute sich nach achtjähriger KZ-Haft durch die Gründung eines Malerbetriebs eine neue Existenz auf. Auch anderen Heimkehrern, wie Martin Bertram, war es möglich, wieder den alten Beruf auszuüben. Er bekam Eigentum und Bäckerei in der Rohrbachstraße 58 zurück. 

Den aus Worms stammenden Schreiner Jakob Krämer  verschlug es am 17. Oktober 1946, nach achtjähriger Gefangenschaft in verschiedenen Konzentrationslagern, nach Frankfurt in die Berger Straße 109. Er heiratete die aus dem Sudetenland stammende Gertrud Eichler, die ebenfalls aus mehrjähriger KZ-Haft nach Frankfurt kam. Jakob Krämer  eröffnete in der Rebstöcker Straße 83 eine kleine Uhrmacherei. 

Die Überlebenden reorganisierten trotz ihrer Existenzsorgen ihre Gemeinde. Gemeinsame Gottesdienste und die Missionsarbeit wurden voller Eifer wieder aufgenommen. Im Jahr 1947 gab es in Frankfurt bereits 250 aktive Zeugen Jehovas. 1948 wurde es erforderlich, die schnell wachsende Gemeinde der Zeugen Jehovas in Frankfurt auf fünf Gemeinden (Versammlungen) aufzuteilen. 

Gemeinde Frankfurt-Höchst 

Foto: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Das Haus Vilbeler Str. 4, in dem sich bis zum Verbot das Gemeindezentrum der Zeugen Jehovas befunden hatte, war im Krieg völlig zerstört worden. Deshalb wurde es notwendig, andere Räumlichkeiten anzumieten. Oft waren es Frankfurter Schulen, die einen Raum zur Verfügung stellten. Eine Zeit lang traf man sich im Schneiderinnungsheim in der Bleichstraße 38a.
Außerdem nutzte man Räume in Gaststätten, um sich in kleineren Gruppen zu treffen. 

Einladung zu einem Gottesdienst ins Schneiderinnungsheim im Februar 1946

Foto: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Größere Kongresse von Jehovas Zeugen konnten nun auch wieder durchgeführt werden. Vom 19. bis 22. Oktober 1950 gab es eine „Bezirksversammlung“ in Halle 7 des Frankfurter Messegeländes. Erich Frost, ein KZ-Überlebender, hielt den Hauptvortrag.

Kongress der Zeugen Jehovas auf dem Messegelände 19. bis 22. Oktober 1950

FOTO: JEHOVAS ZEUGEN, ARCHIV ZENTRALEUROPA

Im folgenden Jahr fand ein internationaler Kongress vom 24. bis 26. August 1951 im Frankfurter Waldstadion unter dem Motto „Reine Anbetung“ statt. Aus 24 Ländern reisten 47.430 Delegierte nach Frankfurt, unter anderem wurden 30 Sonderzüge dafür eingesetzt.

Für die Verpflegung nutzte man in dem eigens dafür installierten Küchenzelt 51 große Kochkessel mit je 300 Liter Fassungsvermögen. Eine von der Eisenbahnverwaltung gemietete Lokomotive lieferte den dazu benötigten Dampf.

Kongress 1951 im Waldstadion mit Massenunterkünften für die Delegierten (3. Foto)

Fotos: privat

In den folgenden Jahren bauten einige Frankfurter Gemeinden in Eigenleistung Versammlungsräume. Es entstanden mehrere Gemeindezentren, sogenannte Königreichssäle.

Martin Bertram stellte dafür seine zerstörte Backstube im Hinterhaus der Rohrbachstraße 58 zur Verfügung. 1950 entstand hier der erste Königreichssaal der Nachkriegszeit in Frankfurt.

1956 folgte ein Saal in der Sömmeringstraße 19.

Ein weiterer wurde ab 1963 in der Buchrainstraße 26–28 in Oberrad nach dem Abriss einer ehemaligen Badanstalt gebaut

Alle Fotos: Bau des Gemeindezentrums (Königreichssaal) in der Sömmeringstraße 19 im Jahr 1956

Fotos: privat

In dieser Zeit wuchsen die Gemeinden auch durch aus der DDR zugezogene Zeugen Jehovas. 1956 zogen der ursprünglich aus dem Sudetenland stammende Schriftsetzer Josef Niklasch und seine Ehefrau Margarete nach Frankfurt. Beide waren jahrelang in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert und erlebten erneute Verfolgung in der DDR. Nachdem Josef Niklasch dreimal verhaftet worden war, flüchteten die beiden. In Frankfurt fand er Arbeit in seinem gelernten Beruf bei einer Druckerei.

Ehepaar Margarethe (Gretel) und Josef Niklasch, Januar 1954

Foto: privat

Rudolf und Hilde Heumann, 1977

Foto: privat

Auch Rudolf Heumann aus Gera wurde zunächst durch das NS-Regime verfolgt und verbrachte neun Jahre im Konzentrationslager. Nach kurzer Zeit in Freiheit wurde er als Zeuge Jehovas in der DDR erneut verfolgt und zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach insgesamt 15 Jahren Haft gelangte er 1956 mit seiner Frau Hildegard nach Frankfurt.

Johannes und Adina Schindler

Foto: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Eine ähnliche Doppelverfolgung erlitt auch Johannes Schindler aus Dresden. Er war in der NS-Zeit im Untergrund tätig und beteiligte sich an der Herstellung von verbotener biblischer Literatur. Er wurde mehrfach kurzzeitig verhaftet. Nach seiner erneuten Verhaftung am 12. Februar 1944 wurde er vor den Volksgerichtshof gestellt und am 17. Oktober 1944 zum Tode verurteilt. Anschließend saß er fünf Monate in der Todeszelle im Zuchthaus Brandenburg. Das Kriegsende kam der Vollstreckung des Urteils zuvor. Nach dem Verbot der Zeugen Jehovas in der DDR wurde er im Herbst 1950 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Als nach fünfeinhalb Jahren – im Frühjahr 1956 – der Rest der Strafe auf Bewährung ausgesetzt wurde, entschied er sich mit seiner Frau Adina nach Frankfurt zu ziehen.

Weitere Gemeinden, die sich noch weiterhin in Schulen trafen, konnten in den Jahren 1968 im Schneidmühlenweg (Höchst) oder 1969 in der Günderrodestraße (Gallus) Zusammenkunftsräume anmieten. Auch in der Nistergasse (Heddernheim) und in der Marktstraße (Bergen-Enkheim) wurden Gemeindezentren eingerichtet.

In den 1990iger Jahren entstanden dann in Eigenleistung moderne Neubauten von Königreichssälen im Oberschelder Weg 14 (Heddernheim) und in der Ahornstraße 78 (Griesheim) sowie im Oberschelder Weg 1 (Heddernheim).

In diesen drei Zentren kommen mehr als 30 Frankfurter Gemeinden der Zeugen Jehovas in über 20 verschiedenen Sprachen zusammen.

Königreichssaal Ahornstraße 78 in Frankfurt-Griesheim

Foto: privat

Königreichssaal Oberschelder Weg 1 in Frankfurt-Heddernheim

Foto: privat

Seit 2006 führten Jehovas Zeugen jährlich einen großen Kongress im Frankfurter Waldstadion durch. In den Jahren 2006, 2009 und 2014 waren es internationale Kongresse mit Besuchern aus der ganzen Welt. 

Während der Corona-Pandemie führen Jehovas Zeugen alle Gottesdienste per Videokonferenz durch, um sich und ihre Mitmenschen bestmöglich zu schützen. Alle Kongressinhalte werden während der Pandemie per Videostream in die Wohnungen übertragen.