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Familie Beilacher

Joachim Beilacher (geb. 18.04.1896 in Hofstetten/Kreis Landsberg am Lech),1 Sohn von Josef Beilacher und seiner Ehefrau Genoveva geb. Ditsch,2 machte nach der Schule eine Lehre als Schmied.3 Vom 15. April 1915 bis 8. August 1918 nahm er am 1. Weltkrieg teil.4 Sechs seiner älteren Geschwister wohnten ebenfalls in Frankfurt bzw. Offenbach: Josef jun. (geb. 04.06.1881),5 Xaver (geb. 02.08.1883),6 Leonhard (geb. 16.10.1886),7 Franz (geb. 05.10.1889),8 Genoveva jun. (geb, 20.12.1890)9 und Gregor (geb. 11.03.1894).10

Wann genau Joachim nach Frankfurt zog, ist unbekannt. Sicher ist: Im September 1918 wohnte er dort in der Raiffeisenstraße 45.11 Am 10. September 1918 heiratete er die Köchin Emma Strauch aus Harpen (heute ein Ortsteil von Bochum); Emma war evangelisch, Joachim katholisch.12 Emma starb am 14. Dezember 1920, weniger als ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes Helmut (Helmuth) Wilhelm (geb. 27.11.1919); sie war erst 26 Jahre alt.13

Bis auf die Zeit zwischen 2. Februar und 20. September 1922 arbeitete Joachim bei der Reichsbahn: von März 1919 bis Juni 1928 als Schmied beim Bahnbetriebswerk Frankfurt-Ost,14 zwischen Februar 1925 und Juni 1928 im Reichsbahnausbesserungswerk 2; danach im Bahnbetriebswerk 2 in Frankfurt: bis 30. Juni 1930 erst als Hilfswagenaufseher, danach als Schlosser.15

Am 21. Februar 1922 heiratete Joachim Beilacher die ebenfalls verwitwete Ida Berta (Bertha) Baumann verw. Wallenfels (geb. 27. Juli 1896 in Wenzendorf/Kreis Liebenwerda, evangelisch).16 Am 10. November 1922 wurde der gemeinsame Sohn Joachim Walter geboren.17

Um 1925 wurden Joachim und Ida Beilacher Bibelforscher.18 Bis zum Verbot der Bibelforscher (seit 1931: Jehovas Zeugen) waren beide missionarisch aktiv. Ein Foto aus dem Jahr 1932 zeigt sie z. B. mit anderen Glaubensnagehörigen aus Frankfurt auf einer Missionsfahrt in weiter entfernt liegende Gegenden.

Nach dem Verbot

Im April 1933 wurden Jehovas Zeugen verboten. Ihr Gemeindezentrum in der Vilbeler Straße in Frankfurt wurde verwüstet, geplündert und geschlossen. Danach betätigten sich die Glaubensangehörigen im Untergrund, hielten ihre Gottesdienste in ganz kleinen Gruppen in Wohnungen oder Gartenhütten ab, führten ihre Missionstätigkeit heimlich durch.

Im Mai oder Juni 1936 entließ die Reichsbahn Joachim Beilacher fristlos, weil er Bibelforscher war.19

Der Familienvater wurde am 30.10.1936 zur Vernehmung bei der Gestapo vorgeladen und gab dabei seinen Werdegang als Zeuge Jehovas und seine Betätigung für seine Überzeugung zu Protokoll: Nach dem Verbot habe er „jede Betätigung nach aussen hin aufgegeben“, innerhalb seiner Familie aber weiter über seinen Glauben gesprochen. Er erhalte per Post Bibelforscher-Literatur aus der Schweiz, die er auch lese. Treffen mit anderen Zeugen Jehovas seien zufällig gewesen. Joachim Beilacher gab dabei nichts zu Protokoll, was die anderen Glaubensangehörigen verraten hätte.20

Stolpersteine für die Familie Beilacher vor dem Haus Habsburgerallee 17 in Frankfurt am Main

Foto: Erika Krämer

Missionsausflug 1932. Joachim Beilacher (3. v.r e.) und Ida Beilacher (4. v. re.).

Foto: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa

Trotz der Risiken standen die verfolgten Gemeindemitglieder einander bei. Beispielsweise bat der Sohn des inhaftierten Zeugen Jehovas Valentin Steinbach Joachim Beilacher darum, die Kartoffeln im Garten des Vaters zu ernten.21. Außerdem hatte Joachim Beilacher geschäftlich mit Arthur Tschochner zu tun, da dieser ihm sein Umzugsgut transportieren sollte.22 Die Familie Beilacher hatte nämlich bis 30. Mai 1936 in der Scheidswaldstraße 53 gewohnt,23 zog aber nach der fristlosen Entlassung in die Habsburgerallee 17, wenn auch nur für kurze Zeit. Im Hausstandsbuch wird unter Religionszugehörigkeit „frei“ angegeben.24

Flucht aus Frankfurt

Vorgewarnt durch die fristlose Entlassung und die Vernehmung, plante die Familie die Flucht aus Deutschland. Am 18. Dezember 1936 wanderten Joachim und Ida mit ihrem Sohn Joachim Walter, der gerade erst aus der Schule gekommen war, nach Argentinien aus.25 Schon am Sonntag, dem 13. Dezember 1936, waren sie nicht mehr zu Hause anzutreffen. Die Frankfurter Zeugin Jehovas Anna Fabian gab bei ihrer Vernehmung am 16. Dezember nämlich an: „Am letzten Sonntag vormittags habe ich wieder Beilacher aufsuchen wollen und erfahren, dass er bereits nach Argentinien ausgewandert ist.“26 Helmut(h) dagegen, Joachims Sohn aus 1. Ehe, verblieb in Frankfurt. Er lebte ab dem 16. Dezember 1936 bei Onkel und Tante: bei Josef und Marie Beilacher in der Alten Gasse 55.27 Johannes (Hans) Lehrbach berichtete später, die Familie Beilacher sei gerade noch rechtzeitig entkommen: Ihr Schiff, die „General Artigas“, war auf See, als die Gestapo Joachim verhaften wollte.28

Am 13. Januar 1937 traf die Familie Beilacher in Argentinien ein;29 am 14. Januar wurde ihre Einreise eingetragen. Joachim wurde als Einwanderer Nr. 57 registriert, Ida unter „A. Beilacher“ unter Nr. 59; beide waren 40 Jahre alt. 30 Für die Reise bezahlten sie etwa 360 Reichsmark pro Person, das Geld hatten sie sich geliehen.31

Die „General Artigas“, beim Stapellauf noch die „Westphalia“, wurde nach einem Umbau 1929 umbenannt. Das Schiff fuhrt ab 1930 von Hamburg nach Südamerika.

Foto: http://www.schiffe-maxim.de/Westphalia.htm

Leben in Argentinien

Einer von Joachims Brüdern lebte bereits in Argentinien, die Familie hatte also eine Anlaufstelle.32 Joachim fand schon am 27. Januar, etwa zwei Wochen nach der Einreise, Arbeit als Dreher.33 Er blieb 20 Jahre bei der Firma Thyssen in Buenos Aires tätig, ehe er zum 31. Januar 1957 aus gesundheitlichen Gründen ausschied.34

Auch in Argentinien blieben Joachim und Ida Beilacher ihrer Überzeugung treu. Außerdem unterstützten sie Josef Bahner und seine Ehefrau, indem sie ihnen eine Wohnung zur Verfügung stellten. Das Ehepaar Bahner bereiste ganz Argentinien, um die Gemeinden der Zeugen Jehovas zu besuchen. Die Wohnung bei Beilachers war ihnen dabei eine große Hilfe.35

1951 war Joachim für 3 Monate in Deutschland. In dieser Zeit stellte er seinen ersten Antrag auf Entschädigung als NS-Verfolgter.36 In Argentinien zog er sich eine Tropenkrankheit zu, einen Parasitenbefall. In einem weiteren Wiedergutmachungsantrag gab er an, dass er diese Erkrankung nicht bekommen hätte, wenn er in Deutschlang hätte bleiben können.37 1961 bescheinigte ihm ein Arzt, dass er an Amöbenruhr mit Leberschädigung litt.38

Etwa 10 Jahre nach der Emigration erfuhr die Familie, dass der in Deutschland verbliebene Sohn Helmut(h) im Krieg umgekommen war. Er sei „Kamikaze-Flieger“ gewesen und in der Nähe von Heidelberg mit einem Flugzeug abgestürzt. Auf dem Waldfriedhof in Frankfurt-Oberrad, auf dem Soldatenfriedhof, findet sich ein Grabstein für Helmut Beilacher (geb. 27.11.1919, gefallen 14.6.1941).39

Auf Empfehlung seines Arztes in Argentinien hielt Joachim sich ab Juli 1961 viele Monate – geplant war bis Frühjahr 1962 – wieder in Deutschland auf.40 Durch den Klimawechsel in Deutschland erhoffte er sich die Heilung seiner Tropenkrankheit. Sein Anwalt stellte einen Antrag auf Erstattung der Reisekosten für die Flucht, auch für Ida und Joachim Walter.41 Nach Vorlage der Einreisebestätigungen wurden diese Kosten als Vermögensschaden anerkannt.42

Im März 1965 musste Joachim sich zur Erstellung eines Gutachtens einer amtsärztlichen Untersuchung unterziehen. Zu diesem Zeitpunkt war der Bruder, der seine erste Anlaufstelle in Argentinien gewesen war, bereits verstorben.43

1976 musste die Familie erneut ein Verbot der Zeugen Jehovas erleben, nun in Argentinien.

Im Februar 1977 besuchte der Frankfurter Johannes Schindler einige Freunde in Südamerika. Sein Kontakt in Argentinien war Joachim Beilacher.

Joachim unterhielt zu dieser Zeit noch Briefkontakte nach Frankfurt: z. B. mit Wolfgang Uhlmann.44

Alle drei Emigranten sind inzwischen verstorben: Joachim verstarb am 17. April 1984 – nur einen Tag vor seinem 88. Geburtstag, Ida am 24. Februar 1986 mit 89 Jahren45 und Joachim Walter schließlich im Jahr 2003.46


1 Vgl. Vernehmungsprotokoll Joachim Beilacher, 30.10.1936 (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden [HHStAW], Abt. 461, Sign. 7643).

2 Vgl. ebd.; Heiratsurkunde Josef Beilacher jun. und Marie Beilacher geb. Kellermann (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193). Vornamen der Eltern auch belegt als Joseph bzw. als Genuvefa oder Genovefa.

3 Vgl. Vernehmungsprotokoll 30.10.1936 (Anm. 1).

4 Vgl. ebd.

5 Josef heiratete 1909 in Frankfurt Marie Kellermann (s. Biografie Marie Beilacher).

6 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1936 (https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/nav/classification/8688176, letzter Zugriff: 03.01.2024); Xaver wohnte in der Tilsiter Str. 53 und war Bäckermeister.

7 Vgl. Brief von Franziska Müller, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (ISG), an Erika Krämer, 01.02.2024.

8 Vgl. ebd.

9 Vgl. Antrag auf Ausstellung einer Kennkarte für Genofeva geb. Beilacher, Offenbach, Odenwaldring 153 (Hessisches Staatsarchiv Darmstadt [HStAD], H3, Offenbach, Nr. 118734).

10 Vgl. Brief F. Müller 01.02.2024 (Anm. 7).

11 Vgl. Heiratsbucheintrag STA Frankfurt V 591/1918, Beilacher und Strauch (ISG).

12 Vgl. ebd.

13 Vgl. A.12.02 Nullkartei, B11608 Familie Joachim Beilacher (ISG).

14 Vgl. Entschädigungsbescheid, Wiesbaden 22.08.1962 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 32050).

15 Vgl. ebd. (alle Daten dem Entschädigungsbescheid entnommen).

16 Ihr erster Ehemann Wilhelm Wallenfels (geb. 28.05.1892) war am 24.12.1920 in Frankfurt verstorben. Vgl. A.12.02 Nullkartei B11608 (Anm. 13); Heiratsbucheintrag STA Frankfurt V 178/1922 (ISG).

17 Vgl. A.12.03 Hausstandsbuch, Nr. 805, Scheidswaldstraße 53, Beilacher (IGS).

18 Vgl. Vernehmungsprotokoll 20.10.1936 (Anm. 1); Brief von Joachim Walter Beilacher an die Entschädigungsbehörde in Wiesbaden, 27.08.1990 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 32050).

19 Der Entschädigungsbescheid 22.08.1962 (Anm. 14) weist als Entlassungsdatum den 11.05.1936 aus, der Brief der Anwälte Schneider und Candidus (Kaiserslautern, 17.10.1961) den 16.06.1936 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 32050).

20 Vgl. Vernehmungsprotokoll 30.10.1936 (Anm. 1).

21 Vgl. ebd. Für Valentin Steinbach wurde am 23.06.2019 ein Stolperstein in Schwarzburgstraße 26 verlegt (s. seine Biografie https://www.geschichte-jz-ffm.de/biografien/valentin-steinbach).

22 Vgl. Vernehmungsprotokoll 30.10.1936 (Anm. 1).

23 Vgl. A.12.03 Hausstandsbuch Nr. 805 (Anm. 17).

24 Vgl. A.12.03 Hausstandsbuch, Nr. 690 Habsburger-Allee 17, Beilacher (ISG).

25 Vgl. Entschädigungsbescheid 22.08.1962 (Anm. 14); Brief J. W. Beilacher 27.08.1990 (Anm. 18).

26 Vgl. Vernehmungsprotokoll Anna Fabian, 16.12.1936 (HHStAW, Abt. 461, Sign. 7668). Die Abmeldung erfolgte am 10.12.1936 (cf. A.12.03 Hausstandsbuch Nr. 690 [Anm. 24]).

27 Vgl. ebd.

28 Vgl. Information von Johannes Lehrbach zum erwähnten Foto des Missionsausflugs 1932, den er selbst miterlebte. Die „General Artigas“, beim Stapellauf noch die „Westphalia“, wurde nach einem Umbau 1929 umbenannt. Im Mai 1930 unternahm das Schiff die erste Reise von Hamburg nach Südamerika. Es bot 150 Passagieren in der Kabinenklasse und 652 Passagiere in der 3. Klasse Platz (http://www.schiffe-maxim.de/Westphalia.htm [letzter Zugriff: 03.01.2024]). Die Familie Beilacher reiste in der 3. Klasse.

29 Vgl. Brief J. W. Beilacher 27.08.1990 (Anm. 18).

30 Vgl. Bestätigung der Einreisebehörde in Argentinien für Joachim Beilacher und für A. Bertha Beilacher, 07.11.1961 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 32050). Die Ehefrau hieß Ida Bertha Beilacher. Die handschriftlich sehr geschwungenen Buchstaben ihres Vornamens könnten den Übertragungsfehler auf A. Bertha Beilacher erklären, der sich in späteren Dokumenten fortsetzt.

31 Vgl. Anwaltsbrief Schneider/Candidus 17.10.1961 (Anm. 19).

32 Vgl. ärztliches Gutachten vom 12.03.1965 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 32050).

33 Vgl. Arbeitgeberbescheinigung, Buenos Aires 30.10.1961 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 32050).

34 Vgl. ebd.; Gutachten 12.03.1965 (Anm. 32).

35 Vgl. Lebensbericht Josef Bahner (Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa [JZArchZE]).

36 Vgl. Anwaltsbrief Schneider/Candidus 17.19.1961 (Anm. 19).

37 Vgl. ebd.

38 Vgl. ärztliche Bescheinigung von Dr. Jorge Sergejew, Buenos Aires, 11.11.1961 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 32050).

39 Vgl. Gutachten 12.03.1965 (Anm. 32); Information von Gabriele Bohne geb. Beilacher (Telefonat mit Erika Krämer 29.12.2023; Mail an Erika Krämer 03.01.2024), teils bezogen von Marianela Beilacher Canals, Argentinien (Urenkelin von Joachim und Ida Beilacher).

40 Vgl. Anwaltsbrief Schneider/Candidus 17.19.1961 (Anm. 19).

41 Vgl. Brief der Anwälte Schneider und Candidus an die Entschädigungsbehörde in Wiesbaden, 03.10.1963 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 32050).

42 Vgl. Entschädigungsbescheid, Wiesbaden 07.01.1964 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 32050).

43 Vgl. Gutachten 12.03.1965 (Anm. 32).

44 Vgl. EB Johannes Schindler, 11.02.1977 (UaP).

45 Vgl. Brief W. Beilacher 27.08.1990 (Anm. 18).

46 Vgl. Information Gabriele Bohne (Anm. 39).