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Marie Beilacher

Marie Kellermann wurde am 22. März 1884 in Ingelfingen (Oberamt Künzelsau) geboren. Sie war evangelisch.1 Am 16. Dezember 1909 heiratete sie in Frankfurt den katholischen Hausburschen Josef Beilacher (geb. 04.06.1881) aus Oberfinning im Bezirk Landsberg.2 Beide wohnten bereits vor ihrer Heirat in Frankfurt: Josef in der Dreikönigstraße 55 und Marie in der Brückenstraße 67.3 Ab Oktober 1911 wohnte das Ehepaar in der Alten Gasse 55 im Parterre.4 Ab 1. Juni 1930 war Marie bei der Allianz Versicherungs AG in Frankfurt als Putzfrau angestellt.5 Die Ehe blieb kinderlos.6 Seit 1921 Bibelforscherin, betätigte sie sich aktiv für ihren Glauben.7 1931 erlebte sie, wie auch in Frankfurt die Bibelforscher den neuen Namen „Jehovas Zeugen“ annahmen.

Verbot

Im Frühjahr 1933 wurden Jehovas Zeugen verboten. Ihr Gemeindezentrum in der Vilbeler Straße in Frankfurt wurde verwüstet, geplündert und geschlossen. Danach betätigten sich die Glaubensangehörigen im Untergrund, hielten ihre Gottesdienste in ganz kleinen Gruppen in Wohnungen oder Gartenhütten ab, führten ihre Missionstätigkeit heimlich durch.

Haft

Erst relativ spät – die meisten Frankfurter Zeugen Jehovas waren bereits in Haft – wurde Marie Beilacher am 21. Juni 1938 in ihrer Wohnung in der Alten Gasse 55 verhaftet,8 und zwar „wegen illegaler Betätigung für die IBV [Internationale Bibelforscher Vereinigung]“. Als „Glaubensbekenntnis“ wurde „Anhängerin der illegalen IBV“ angegeben.9

Sie kam unverzüglich ins Frankfurter Polizeigefängnis und ohne Urteil in Schutzhaft.10 Mit der Verhaftung verlor sie ihre Stelle bei der Allianz in Frankfurt.11 Ihr materieller Verlust betrug 5.000 Mark.12

Am 5. September verbrachte man sie zunächst ins KZ Lichtenburg (Zugang 9. September 1938)13 und am 15. Mai 1939 nach Ravensbrück – der erste Transport in das neue Frauenlager, den neben Marie Beilacher auch die Frankfurterin Paula Lubowitzky erlebte; die Frauen waren schon am 9. September 1938 in Lichtenburg zusammengetroffen.14 Die etwa 400 Zeuginnen Jehovas stellten bis Ende 1939 die größte Häftlingsgruppe in Ravensbrück.15 Marie musste Sand schippen, Bausteine schleppen und Erdarbeiten durchführen. Im Januar 1943 trug sie die Häftlingsnummer 1027 und war in Block 17 inhaftiert;16 zu anderer Zeit ist sie in Block 12 belegt.17 1944 zog sie sich einen schweren Blasenkatarrh zu, der ihr immer wieder zu schaffen machte und aus dem sie ein Blasenleiden als Haftfolge zurückbehielt.18

Am 16. Juni 2024 wurde dieser Stolperstein für Marie Beilacher vor der Alten Gasse 51 verlegt.

Foto: Quelle: Erika Krämer

Brief von Marie Beilacher aus dem KZ Ravensbrück vom 23. Januar 1943 an ihren Ehemann.

Foto: HHStAW, Best. 518 Nr. 4193

Ihr Ehemann Josef war nicht persönlich verfolgt, doch er litt unter der Verfolgung seiner Frau. Zum Beispiel war er genötigt, von „fremder Hand seine Wäsche, Kleidung etc. in Ordnung und ebenfalls Küche und Haushalt sauberhalten zu lassen“.19

Befreiung

Am 30. April 1945 erlebte Marie Beilacher gemeinsam mit Paula Lubowitzky die Befreiung.20 Am 15. Juni 1945 durfte Marie Beilacher endlich den Heimweg antreten. Sie und Paula brachen zunächst getrennt auf, trafen sich aber dann in Erfurt oder in Magdeburg wieder und kamen am 28. August 1945 gemeinsam in Frankfurt an.21 Ihr Ehemann Josef war mittlerweile umgezogen: in die Heiligkreuzgasse 8 in den 2. Stock des Hinterhauses.22 Marie, bei ihrer Entlassung 61 Jahre alt, hatte 6 Jahre, 10 Monate und 10 Tage in Haft verbracht.23 Sie war so geschwächt, dass sie nicht mehr berufstätig sein konnte. Dennoch setzte sie sich weiter für andere ein, wo sie konnte: Sie half mit, die Verfolgungsgeschichte derer zu bewahren, die nicht überlebt hatten, darunter die von Karoline Veith, die als Ravensbrück-Häftling in Bernburg vergast worden war.24 Sie kümmerte sich auch aufopferungsvoll um Paula Lubowitzky und pflegte sie bis zu ihrem Tod im April 1963. Erst danach beantragte sie für sich selbst eine Erholungskur.25

Bestätigung, dass Marie Beilacher seit 1921 Zeugin Jehovas und deshalb inhaftiert war, ausgestellt von Martin Bertram am 10. Oktober 1950.

Foto: HHStAW, Best. 518 Nr. 4193

Mit Maries Gesundheit ging es immer weiter bergab. Spätestens ab Dezember 1963 wohnte sie in Pforzheim bei ihrer Nichte, die die häusliche Pflege übernahm; ihre Wohnung in Frankfurt hatte sie nach einer schweren Operation auflösen müssen.26 Wenige Jahre später war sie völlig auf die Pflege ihrer Nichte angewiesen, die sie bis zu ihrem Tod zu Hause pflegte.27 Marie Beilacher verstarb am 10. Januar 1971 in Pforzheim.28


1 Vgl. Heiratsurkunde (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden [HHStAW], Abt. 518, Sign. 4193).

2 Vgl. ebd.

3 Vgl. ebd.; Eintrag Heiratsbuch (Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main [ISG], STA Frankfurt IV 430/1909, Beilacher und Kellermann).

4 Vgl. Einwohnermeldeunterlagen, A.12.02 Nullkartei B11611 Familie Josef Beilacher (ISG); Adressbuch der Stadt Frankfurt 1912 (https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/nav/classification/8688176, letzter Zugriff: 10.02.2024).

5 Vgl. Bestätigung der Betriebskrankenkassen des Allianz-Konzerns, 08.12.1950 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193).

6 Vgl. Wiedergutmachungsantrag, Fragebogen „Schaden an Körper und Gesundheit“ (ebd.).

7 Vgl. Bestätigung von Martin Bertram, 10.10.1950 (ebd.).

8 Vgl. Bestand „NS-Verfolgte“, Sign. 385 (ISG); Gestapo-Karteikarte Marie Beilacher (HHStAW, Abt. 486, Nr. 5426).

9 Vgl. ebd.

10 Vgl. Fragebogen „Verfolgung der Zeugen Jehovas“ von Marie Beilacher, 18.11.1945 (Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa [JZArchZE]); Gestapo-Karteikarte M. Beilacher (Anm. 8).

11 Vgl. Wiedergutmachungsantrag, Fragebogen „Schaden im wirtschaftlichen Fortkommen“ (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193).

12 Vgl. Fragebogen „Verfolgung […]“ (Anm. 10).

13 Vgl. Gestapo-Karteikarte M. Beilacher (Anm. 8); eidesstattliche Versicherung von Marie Beilacher, 21.02.1950 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193).

14 Vgl. ebd.

15 Vgl. Lebensbericht (LB) Anna Kanne (JZArchZE). Für Anna Kanne wurde am 18.05.2018 im Marbachweg 328 ein Stolperstein verlegt (cf. https://www.geschichte-jz-ffm.de/biografien/anna-kanne). Zu den Zahlen vgl. Hans Hesse/Jürgen Harder, „... und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müßte ...“: Die Zeuginnen Jehovas in den Frauenkonzentrationslagern Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück, Essen 2001, 129.

16 Vgl. Haftbrief Marie Beilacher an ihren Ehemann, KZ Ravensbrück, 23.01.1943 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193).

17 Vgl. Bestand „NS-Verfolgte“ (Anm. 8).

18 Vgl. amtsärztliches Gutachten Stadtgesundheitsamt, 21.05.1950 oder 1951; das Dokument weist zwei Daten aus (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193); Wiedergutmachungsantrag, Fragebogen „Schaden an Körper und Gesundheit“ (Anm. 6).

19 Vgl. Bestand „NS-Verfolgte“ (Anm. 8).

20 Vgl. Entschädigungsbescheid wegen Schadens im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen, o. D., S. 2 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193).

21 Vgl. eidesstattliche Versicherung von Marie Beilacher in der Akte von Paula Lubowitzky o. D. (HHStAW, Abt. 518, Sign. 480).

22 Vgl. Adressbuch der Stadt Frankfurt 1943 (https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/periodika/nav/classification/8688176, letzter Zugriff: 10.02.2024).

23 Vgl. Bescheid der Entschädigungsbehörde an Marie Beilacher, Wiesbaden, 20.12.1965 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193).

24 Vgl. Fragebogen „Verfolgung der Zeugen Jehovas“, ausgefüllt von Marie Beilacher für Karoline Veith, 18.11.1945 (JZArchZE). Für Karoline Veith wurde am 19.11.2013 in der Rotlindstraße 70 ein Stolperstein verlegt (cf. https://www.geschichte-jz-ffm.de/biografien/karoline-veith).

25 Für Paula Lubowitzky wurde am 24.06.2017 in der Loreleistraße 6 ein Stolperstein verlegt (cf. https://www.geschichte-jz-ffm.de/biografien/paula-lubowitzky).

26 Vgl. Brief von Marie Beilacher an die Entschädigungsbehörde, 04.12.1963 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193).

27 Vgl. Brief von Marie Beilacher an die Entschädigungsbehörde, 15.07.1967 (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193).

28 Vgl. Sterbeurkunde Marie Beilacher (HHStAW, Abt. 518, Sign. 4193).