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Paula Lubowitzky

Paula Lubowitzky, geborene Walheim, wurde am 10. Januar 1884 in Oberndorf am Neckar1 geboren. Über ihre Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Sie wuchs mit zwei Geschwistern auf.2 Ihr Vater starb, als sie elf Jahre alt war. Am 21. August 1921 heiratete sie Adolf Lubowitzky.3 1928 zogen sie nach Frankfurt-Höchst in die Loreleistraße4 65. Die Ehe blieb kinderlos.

Paula Lubowitzky kam 1929 durch einen Vortrag im Volksbildungsheim in Frankfurt mit den Bibelforschern in Kontakt. Sie beschäftigte sich eingehend mit der Bibel, trat aus der Kirche aus und ließ sie sich als Bibelforscherin/Zeugin Jehovas taufen. Sie gehörte der Gruppe in Frankfurt-Höchst an. Von dem Verbot der Zeugen Jehovas hatte sie gehört. Sie traf sich dennoch mit ihren Glaubensbrüdern, um aus der Bibel Mut zu schöpfen.6

Im März 1937 traf eine große Verhaftungswelle die Frankfurter Zeugen Jehovas, da sie sich an einer zweiten Aktion zur Verteilung der „Luzerner Resolution“ beteiligt hatten.7 Paula Lubowitzky (nun 53 Jahre alt) wurde am 18. März 1937 verhaftet und saß ab dem 20. März 1937 in Untersuchungshaft im Gefängnis in Frankfurt-Preungesheim.8

Bei ihrer Vernehmung gab sie nur die nötigsten Auskünfte. Allerdings antwortete sie auf die Frage, warum sie nicht mit dem „Deutschen Gruß“ grüßt: „Das Heil ist in Christus.“9 Auf die Frage nach Unterstützung der Bibelforscher oder nach Zusammenkünften, die damals bereits seit vier Jahren verboten waren, gab sie keine Antwort, zuckte mit den Achseln und machte keine weiteren Aussagen zur Sache.10

Die Anklage enthielt die Vorwürfe, „nach dem Verbot an geheimen Zusammenkünften teilgenommen“ zu haben. Sie traf sich mit dem Ehepaar Mayer aus Griesheim (für Balthasar und Elisabeth Mayer sind Stolpersteine in der Fabriciusstraße 11 verlegt), mit Boreslaw Musolf und Adolf Krämer11 (für Adolf Krämer  ist ein Stolperstein in der Mainzer Landstraße 606 verlegt). Paula Lubowitzky wurde als „äußerst fanatische, verlogene und verstockte Anhängerin der illegalen IBV“ (Internationale Bibelforscher Vereinigung) bezeichnet.12

Während sie auf ihren Prozess vor dem Sondergericht in Frankfurt warten musste, bekam sie wöchentlich Besuch von ihrem Ehemann Adolf Lubowitzky, wie die „Sprechzettel“ in ihrer Akte belegen.13 Offensichtlich ging es ihr gesundheitlich schlecht, denn ihre Kost wurde einen Monat nach ihrer Einlieferung umgestellt. Es war der Antrag gestellt worden, ihr zunächst 300 g Weißbrot zu geben, ab dem 12. Mai sogar nur „Schleim ohne Brot“. Ab der Verhandlung vor dem Sondergericht wieder „300 g Weißbrot“.14 Am 4. Juni 1937 fand um 11.00 Uhr die Verhandlung vor dem Sondergericht in der Heiligkreuzgasse 34, 1.Stock, Zimmer 85 statt.15 Dort wurde sie zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, die durch die Untersuchungshaft abgegolten waren. Doch sie wurde nicht freigelassen, sondern in Schutzhaft genommen und am 28. Juli 1937 in das KZ Moringen überführt.16,17 Über das Verhalten der Bibelforscherinnen in Moringen wird berichtet: „Die alten Bibelforscherinnen machen den Aufseherinnen viel zu schaffen. Sie leisten weder den Hitlergruß, noch lassen sie sich von ihren Andachten abhalten.“18 In diesem frühen KZ gab es noch keine Blockeinteilungen, über Häftlingsnummern ist aus dieser Zeit ebenfalls nichts bekannt. „Auch die geleisteten Arbeiten können nicht genau zugeordnet werden.“19

Von Moringen wurde sie am 21. Februar 1938 mit 149 anderen Zeuginnen Jehovas ins KZ Lichtenburg überstellt. Paula Lubowitzky ist an 83. Stelle der Transportliste aufgeführt.20 Dort erhielt sie die Häftlingsnummer 326, die sie auch in Ravensbrück behielt.21 Die niedrige Häftlingsnummer zeigt, dass sie zu den ersten Inhaftierten im KZ Lichtenburg gehörte. Damals wurden Zeugen Jehovas noch als „Politische Häftlinge“ eingestuft, erst 1938 wurde in allen KZ einheitliche Kennzeichnungen – für Jehovas Zeugen der lila Winkel – eingeführt.22

Am 15. Mai 1939 kam Paula Lubowitzky ins neu errichtete KZ Ravensbrück.23 Über ihre Zeit in Ravensbrück geben die eidesstattlichen Versicherungen zweier Mithäftlinge Auskunft, die ebenfalls aus Frankfurt waren. 1950 gab Elisabeth Mayer eine eidesstattliche Versicherung über die Verfolgung von Paula Lubowitky ab: „Am 4.6.37 hatte ich mit Frau Paula Lubowitzky hier in Ffm., vor dem Sondergericht einen Termin wegen Zugehörigkeit zur Vereinigung der ernsten Bibelforscher. Hier bekamen wir beide 2 Monate Gefängnisstrafe, die durch die Untersuchungshaft verbüsst war. Ich kam von der Verhandlung aus wieder in das Pol. Gef. Starkestr. hier war ich vom 4.6.37 bis 2.8.37. Frau Lubowitzky hat dasselbe Schicksal erreicht. Im Anf. 37 kam ich nach Moringen. Hier habe ich Frau Lubowitzky wieder gesehen. Ich weiss jedoch nicht mehr, ob sie vor oder nach mir dorthin gekommen ist. Hier waren wir bis Febr. 38. Im Febr. 38 kamen wir mit einem Transport nach der Lichtenburg. Hier waren wir bis zum Mai 39. Wir kamen im Mai 39 mit demselben Transport nach dem KZ Ravensbrück. Hier waren wir bis zur Befreiung d[urch] d[ie] Russen. In Ravensbrück habe ich Sand geschippt, Holz gefällt usw. Frau Lubowitzky hat Büro gereinigt.“24

Eine weitere Zeugin Jehovas aus Frankfurt, Marie Beilacher, war ebenfalls mit ihr inhaftiert und gab eine eidesstattliche Versicherung über die gemeinsame Haft ab: „Ich kam am 9.9.38 nach der Lichtenburg bei Torgau. Dort traf ich Frau Paula Lubowitzky an, die schon da war. Ich kam mit der Obergenannten am 15.5.39 nach dem neu eröffneten KZ Ravensbrück. Hier waren wir bis zur Befreiung d[urch] d[ie] Russen. Auf der Lichtenburg haben wir nicht gearbeitet. Im KZ Ravensbrück habe ich Sand schippen, Bausteine getragen, Erdarbeiten gemacht usw. Frau Lubowitzky hat teilweise die oben genannten Arbeiten gemacht und später machte sie Putzarbeiten im Büro der Oberaufseherin.“25

Außer den eigenen Leiden musste Paula Lubowitzky auch die Misshandlungen ihrer Glaubensschwestern mit ansehen. Selbst eine frühere Nachbarin traf sie, kurz bevor diese ins Vernichtungslager Auschwitz kam. Darüber gab sie am 24. Juni 1947 eine eidesstattliche Versicherung ab: „In der Zeit von 1939 bis zum Ende des Krieges im Jahre 1945 war ich als Häftling im Konzentrationslager Ravensbrück. Im Jahre 1942 kam Frau Mina Odenbach geb. Mester aus Ffm-Höchst auch in dieses Lager. Ich kannte diese Frau schon vor meiner Haftzeit als ich noch in Ffm-Höchst wohnte. Wir sahen uns wieder im oben genannten Lager. Frau Mine [sic!] Odenbach war Jüdin. Im Sommer 1942 - an das genaue Datum kann ich mich nicht mehr erinnern - näherte Frau Mina Odenbach sich mir und sagte das [sic!] sie in einigen Tagen zusammen mit anderen Juden in einem Sammeltransport zum Konzentrationslager Auschwitz gebracht werden würde. Weinend entfernte sie sich und seit dieser Zeit habe ich sie im Lager Ravensbrück nicht mehr gesehen.“26 Frau Odenbach starb am 12. Oktober 1942 in Auschwitz.27

Wo ihr Ehemann, Adolf Lubowitzky, in dieser Zeit war, erklärte sie: „Während meiner Haft war mein Ehemann zu S.H.D. eingegangen.“28 Das hatte zur Folge, dass die gemeinsame Wohnung unbeaufsichtigt war. In dieser Zeit wurden Kleidung, Wertgegenstände und auch Möbel gestohlen.29 Der Antrag auf Erstattung wurde abgelehnt, da es „durchaus auch möglich [ist], daß erst durch die erfolgte Einziehung ihres Ehemannes eine ordnungsgemäße Aufsicht über ihre Wohnung nicht mehr gewährleistet war.“30

Paula Lubowitzky blieb in Ravensbrück bis zur Befreiung des KZ am 30. April 1945 durch die Rote Armee31. Relativ wenige der Häftlinge waren noch zurückgeblieben, unter ihnen Paula Lubowitzky. Am gleichen Tag hat auch Adolf Hitler, der 1934 gedroht hatte: „Diese Brut werde ich aus Deutschland ausrotten!“32 Selbstmord begangen. Für die meisten Überlebenden dauerte es noch einige Wochen, bis sie wieder nach Hause zurückkehren konnten. Am 29. Mai 1945 erhielt Paula Lubowitzky einen Ausweis, ausgestellt in Fürstenberg, der bescheinigte, dass sie sich „bis zur Auflösung im KZ Ravensbrück in Haft befunden hat.“33 Erst danach machte sie sich auf den beschwerlichen, etwa 600 km langen Heimweg – zu Fuß. Ihre Glaubensschwester Marie Beilacher aus Frankfurt berichtete dazu: „Nach der Befreiung sind wir verschieden heim, haben uns jedoch unterwegs getroffen, wo weiss ich nicht mehr genau, Erfurt oder Magdeburg. Wir kamen jedoch zusammen am 28.8.45 hier in Frankfurt an.“34 Paula Lubowitzky kam nach 101 Monaten wieder nach Frankfurt zurück.

Durch die langen Jahre der Haft und den Heimweg zu Fuß hatte Paula Lubowitzky schwere gesundheitliche Schäden davon getragen: Abmagerung, Zahnverlust, nervöse Erschöpfung, dazu Nerven- und Venenentzündungen. Ihr „Antrag auf Haftentschädigung sowie auf Wiedergutmachung von Schaden an Körper und Gesundheit ist bereits zustimmend entschieden worden“, so aus dem Teilbescheid zum Verlust von Einrichtungsgegenständen35.

1951 war sie mit 67 Jahren dermaßen gesundheitlich angeschlagen, dass sie ihre im 3. Stock gelegene Wohnung nur noch mit erheblichen Schwierigkeiten verlassen konnte. Deshalb stellte sie den Antrag, die ihr zustehende Wiedergutmachung zügig auszuzahlen, um sich für 3.600 DM ein kleines Holzhaus in Frankfurt-Rödelheim zu kaufen. Ein weiterer, 1954 gestellter Antrag, ist von ihr eigenhändig mit ganz zittriger Schrift unterschrieben.36 Ab Oktober 1953 konnte sie in Rödelheim in ihrem kleinen Holzhäuschen inmitten von Gärten leben. Nachdem ihr Ehemann gestorben war und ihre Gesundheit immer schlechter wurde, wurde sie liebevoll von Marie Beilacher betreut. Sie kannten sich seit spätestens 1938 und waren gemeinsam im KZ Lichtenburg. Es ist aber gut möglich, dass sie sich bereits vor Beginn der Verfolgung kennengelernt hatten. Am 12. April 1963 starb Paula Lubowitzky.

Sie war eine mutige Frau, die seit ihrem 46. Lebensjahr 33 Jahre lang eine Zeugin Jehovas war. Davon war sie 8 1/2 Jahre wegen ihrer Glaubenstreue inhaftiert – sie gehorchte Gott mehr als den Menschen. Durch den Stolperstein wird ihre Standhaftigkeit gewürdigt.

Stolperstein Paula Lubowitzky in Frankfurt am Main.

Foto: Erika Krämer

1 Oberndorf am Neckar liegt in Baden-Württemberg zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb; vgl. oberndorf.de (letzter Login 19.03.2017).

2 Mail von Peter Sickinger, Standesamt Oberndorf am Neckar vom 20.03.2017.

3 Auskunft Melderegister der Stadt Frankfurt vom 25.04.2017.

4 In den alten Dokumenten (Strafprozessakte) heißt es „Loreleystraße“.

5 Ebd.

6 Vgl. Urteil des Sondergerichts, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden [HHStAW] Abt. 409/6 Nr. 52 (Akte Balthasar Mayer).

7 Jehovas Zeugen verteilten die „Luzerner Resolution“ am 12.12.1936 um 17.00 Uhr zeitgleich im ganzen Reichsgebiet. Mit dieser Protestaktion machten sie die Öffentlichkeit auf die grausame Misshandlung der Zeugen Jehovas und anderer Verfolgtengruppen aufmerksam und forderten das NS-Regime in scharfen Worten auf, diese brutalen Übergriffe einzustellen. Eine zweite Aktion fand im Februar 1937 statt. Darauf folgte in Frankfurt eine Verhaftungswelle in den ersten Märztagen 1937.

8 Vgl. Sondergerichtsanklage, HHStAW Abt. 461 Nr. 7667.

9 Vgl. Vernehmung vom 19.03.1937, HHStAW Abt. 461 Nr. 7667.

10 Ebd.

11 Vgl. Anklageschrift, HHStAW Abt. 461 Nr. 7667.

12 Ebd.

13 Vgl. „Personalakte“, HHStAW Abt. 409/4 Nr. 9193.

14 Ebd.

15 Ebd.

16 Vgl. Auskunft von Frau Melanie Engler, Gedenkstättenleiterin Gedenkstätte KZ Lichtenburg, per Mail vom 16.02.2017 an Erika Krämer.

17 Vgl. Auskunft von Frau Nina Eimer, Gedenkstätte KZ Moringen, per Mail vom 23.03.2017 an Erika Krämer.

18 Vgl. „Zwischen Widerstand und Martyrium“ von Dr. Detlef Garbe, 41999, S. 407.

19 Vgl. Auskunft von Frau Nina Eimer, Gedenkstätte KZ Moringen, per Mail vom 23.03.2017 an Erika Krämer.

20 Vgl. „Namen der am 21. Februar 1938 von Moringen nach Lichtenburg zu überführenden Politischen Schutzhäftlinge“, Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa [JZD].

21 Vgl. Auskunft von Frau Monika Schnell, Wissenschaft. Dienste Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, per Mail vom 01.03.2017 an Erika Krämer.

22 Vgl. „Zwischen Widerstand und Martyrium“ von Dr. Detlef Garbe, 41999, S. 405.

23 Vgl. eidesstattliche Versicherung von M. Beilacher, HHStAW Abt. 518 Nr. 480.

24 Vgl. eidesstattliche Versicherung von Elisabeth Mayer vom 26.10.1950, HHStAW Abt. 518 Nr. 480.

25 Vgl. eidesstattliche Versicherung von M. Beilacher, HHStAW Abt. 518 Nr. 480.

26 Vgl. eidesstattliche Versicherung vom 24.06.1947, HHStAW Abt. 518 Nr. 4278.

27 Ebd.

28 „Die Ordnungspolizei bestand aus der Schutzpolizei, dem ‚Sicherheits- und Hilfsdienst‘“ SHD (einer Hilfspolizei im Luftschutz, ab 1942 „Luftschutzpolizei“). Vgl. http://media.offenes-archiv.de/Tafel41-48_A3_final.pdf der Gedenkstätte Neuengamme (letzter Login 20.03.2017).

29 Vgl. Bescheid vom 07.07.1954, HHStAW Abt. 518 Nr. 480.

30 ebd.

31 Vgl. ravensbrueck.de (letzter Login 25.03.2017).

32 Vgl. beglaubigter Bericht des Frankfurter Schriftstellers Karl R. Wittig, „Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1974“, S. 138.

33 Vgl. beglaubigte Abschrift des Ausweises, HHStAW Abt. 518 Nr. 480.

34 Vgl. eidesstattliche Versicherung von Marie Beilacher, HHStAW Abt. 518 Nr. 480.

35 Vgl. Teilbescheid vom 07.07.1954, HHStAW Abt. 518 Nr. 480.

36 Vgl. HHStAW Abt. 518 Nr. 480.